Christian Kircher: „Es gibt auch eine moralische Dimension“

Christian Kircher: „Es gibt auch eine moralische Dimension“
Christian Kircher, Chef der Bundestheater-Holding, über Maßnahmen gegen sexuelle Belästigung und Mobbing

Christian Kircher ist nicht zum Spaßen zumute: In der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift Die Bühne informiert der Geschäftsführer der Bundestheater-Holding, dass alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eine Broschüre mit dem Titel „Kein Spielraum für sexuelle Belästigung & Mobbing“ erhalten hätten. Darüber hinaus wurden in allen Häusern (Staats- und Volksoper, Burg- mit Akademietheater ) Plakate mit dem Opfer-Notruf der von Eduard Zimmermann gegründeten Hilfsorganisation „Der Weiße Ring“ aufgehängt.

Mobbing und sexuelle Belästigung seien „häufig ein Ausdruck von Machtverhältnissen“. Christian Kircher will „das Bewusstsein für diese beiden Formen des Machtmissbrauchs stärken“ und verlangt von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Bundestheater ein „klares Bekenntnis zum uneingeschränkten Wohlverhalten“.

Kircher, 1964 in Spittal/Drau geboren, leitet die Bundestheater-Holding seit April 2016. Zuvor war der Betriebswirt und Chorist elf Jahre lang lang Finanzdirektor des Wien Museums.

 

Christian Kircher: „Es gibt auch eine moralische Dimension“

Veröffentlichte eine „Generalrichtlinie“: Christian Kircher 

 

KURIER: Was hat Sie zu dieser Aufklärungsaktion bewogen?

Christian Kircher: Die #MeToo-Debatte hat längst den gesamten Theaterbereich erfasst. Rund 60 Beschäftigte des Burgtheaters haben vor einem Jahr in einem Offenen Brief eine Atmosphäre der Angst und Verunsicherung beklagt, die unter Matthias Hartmann, Direktor bis 2014, geherrscht habe. Hinzu kamen zuletzt Diskussionen im Zusammenhang mit einem Staatsopernmusiker, der von der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien als Professor entlassen wurde. Ich habe daher eine Klarstellung vornehmen lassen, welches Verhalten von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern erwartet wird.

Aufgrund der im April 2018 von der Musikuniversität Wien erhobenen Vorwürfe wurde der Musiker in der Staatsoper vom Dienst freigestellt. Direktor Dominique Meyer ordnete in der Folge eine Untersuchung an. Da es keine konkreten Vorwürfe gegeben habe, durfte der Musiker, ein Wiener Philharmoniker, Mitte September seine Tätigkeit wiederaufnehmen. Wie sehen Sie die Causa?

Mir wurde glaubwürdig vermittelt, dass die Untersuchung sehr ernst genommen wurde. Es gab – so das Ergebnis – „keinen strafrechtlich oder arbeitsrechtlich relevanten Vorfall“ in der Staatsoper. Es gibt jedoch, ganz allgemein gesprochen, auch eine moralische Dimension. Ich bin kein Richter und will nicht urteilen. Daher möchte ich die Spielregeln für die Zukunft vorgeben: Ich erwarte mir ein klares Bekenntnis zum uneingeschränkten Wohlverhalten.

Gerüchteweise soll es aber doch einen konkreten Vorfall gegeben haben. Auf Nachfrage des KURIER antwortete Meyer schließlich schriftlich: „Mir ist lediglich ein angeblicher Annäherungsversuch in den Räumlichkeiten der Wiener Staatsoper bekannt, wobei hier Aussage gegen Aussage steht.“ Wissen Sie davon?

Ja, es gibt die Aussage eines ehemaligen Schülers des Musikers über einen Vorfall in der Zeit vor der Direktion Meyer. Wenn in einem Einzelfall Aussage gegen Aussage steht, wird es schwierig.

Einzelfall? Auf der Musikuniversität soll es laut Rektorat mehrere Vorfälle gegeben haben …

Aber nicht in der Staatsoper. Auch der hinzugezogene Rechtsanwalt vertritt die Meinung: Sollte sich der Vorwurf bestätigen, muss der gesamte Sachverhalt neu bewertet werden.

Zunächst hatte Direktor Meyer behauptet, dass es keine Vorfälle in der Staatsoper gegeben habe. Auch Ihnen gegenüber?

Ja. Wir haben das thematisiert. Der Direktor hat sich mehrfach dafür entschuldigt, dass er zu diesem Zeitpunkt den Vorfall nicht in Erinnerung hatte. Ich habe das zur Kenntnis genommen.

Zu den Untersuchungen beigezogen wurde das Kinderschutzzentrum Möwe. Wissen Sie, zu welchen Schlüssen diese gemeinnützige Einrichtung kam?

Ja. Möwe geht auf die moralische Dimension ein und empfahl, den Ausgang des Verfahrens, das der Musiker gegen die Entlassung angestrengt hatte, abzuwarten. Allerdings kann der Weg durch die Instanzen Jahre dauern. Daher traf das Kollektiv aus Juristen, Psychologen, Betriebsrat und Direktion die Entscheidung, das Ende des Verfahrens nicht abzuwarten. Möwe sprach zudem die Empfehlung aus, allgemeingültige Verhaltensregeln zu implementieren. Das habe ich sogleich umgesetzt.

Der Musiker brachte gegen die Entlassung beim Arbeits- und Sozialgericht Klage ein. Nach den ersten Zeugeneinvernahmen schloss er Mitte Oktober 2018 mit der Musikuniversität Wien eine außergerichtliche Einigung ab. Er unterfertigte die Vereinbarung jedoch nicht. Und seine Anwälte geben, vom KURIER um Informationen gebeten, keine Auskünfte. Wissen Sie mehr?

Dazu kann und will ich mich nicht äußern. Ich höre nur, dass das Verfahren noch nicht beendet ist.

Sie haben zu Beginn den im „Standard“ publizierten Offenen Brief der Burg-Mitarbeiter erwähnt. In diesem wird festgehalten, dass Hartmann kein Einzelfall sei: „Immer wieder wird von vielen RegisseurInnen in künstlerischen Prozessen Machtmissbrauch, Demütigung und Herabwürdigung als probates Mittel in der Arbeit angesehen.“ Ab dem Herbst wird das Burgtheater von Martin Kušej geleitet werden. Ist Ihre Maßnahme auch ein Warnschuss?

Nein. Das Ensemble hat festgehalten, dass der Offene Brief nicht an Martin Kušej adressiert war. Das gleiche gilt für diese Broschüre: Sie ist die Generalrichtlinie. Jeder und jede muss sich ihr unterwerfen.

Auf den Bundestheater-Plakaten wird auf die Opfer-Notrufnummer des Weißen Rings hingewiesen. Geht es Ihnen auch um die Aufarbeitung der Vergangenheit? Man hört ja immer von der „Besetzungscouch“…

Ich habe bei allen Direktoren nachgefragt, ob irgendwelche Fälle aus der Vergangenheit bekannt sind. Von der Bezeichnung „Besetzungscouch“ möchte ich absehen. Es gab Vorfälle, die, für mich nachvollziehbar, im Bereich des Zwischenmenschlichen liegen, aber nicht in der Dimension, wie wir sie aus der #MeToo-Debatte kennen. In all diesen Fällen haben die Direktionen eine Klarstellung herbeigeführt.

Um Mitglied der Wiener Philharmoniker werden zu können, muss man drei Jahre lang im Orchester der Staatsoper gespielt haben. Die umjubelte Soloflötistin Silvia Careddu wird keine Philharmonikerin werden: Eine Kommission entschied, wie „News“ berichtete, dass Careddu nicht weiter im Orchester der Staatsoper bleiben darf. In dieser Kommission sitzen vornehmlich Mitglieder des Orchesters – und damit Philharmoniker. Ihr Kommentar?

Ich bin nicht Teil der Kommission und war daher an dieser Entscheidung nicht beteiligt. Persönlich bedauere ich diese Entscheidung sehr, denn ich schätze Frau Careddu als große Persönlichkeit, selbstbewusste und hervorragende Musikerin.

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