Dear Reader: "Ich fühle die Schuld"

Der Reader Sängerin Cherilyn MacNeil
Cherilyn MacNeil über ihr neues in Eigenregie produziertes Album "Rivonia".

Ich war zwar erst elf Jahre alt, als es die erste demokratische Wahl in Südafrika gab. Aber ich bin ein weißes Mädchen, das von einem teuflischen System profitiert hat. Ich fühle diese Schuld.“ Deshalb hat Cherilyn MacNeil, die Frau hinter dem Band-Pseudonym Dear Reader, ihre heute, Freitag, erscheinende CD nach dem Johannesburger Vorort „Rivonia“ benannt, beschreibt in jedem Song ein Stück der Geschichte Südafrikas – jeweils aus der Sicht einer involvierten Person.

Musikalisch setzt MacNeil diesen oft bedrückenden Themen einen zarten Sound entgegen, der von Chören und Gesangs-Stimmen lebt, die vielfach nur mit Percussion und Piano unterlegt und mit raffiniert eingesetzten Bläsern akzentuiert sind. „Weil mein voriges Album so dicht arrangiert war, wollte ich diesmal der Musik mehr Luft lassen“, erklärt sie im KURIER-Interview. „Außerdem habe ich in der Zwischenzeit sehr viel a cappella gesungen und wollte den Fokus auf die Stimme legen.“

Razzia

Die Beschäftigung mit der Geschichte ihrer Heimat entstand, weil MacNeil 2010 nach Berlin gezogen ist: „Dort haben mich viele Leute viele Dinge über Südafrika gefragt, die ich nicht wusste. Also begann ich, darüber zu lesen.“
Aus der Lektüre von „The Long Road To Freedom“ von Nelson Mandela entstand der Song „Took Them Away“ über eine Razzia auf der „Lilesleaf- Farm“ im Stadtteil Rivonia, auf der sich Mandela und die ANC-Führung versteckt hielten. „Die beschreibe ich aus der Sicht eines Buben, der einer der Verräter war. Ich beschreibe ihn reumütig. Denn so fühle ich mich selbst, denke: ,Ich war ein Kind, ich konnte nicht wissen, was vorgeht!‘“

Vergeltung

Noch persönlicher wird MacNeil in „26.04.1994“. Darin beschreibt sie den ersten demokratischen Wahltag, die Furcht ihrer Eltern vor Vergeltung der neuen schwarzen Regierung einerseits, die Freude ihrer schwarzen Haushälterin Nancy, die für sie wie eine zweite Mutter war, andererseits. „Nancy ist immer noch bei uns. Und einerseits sollten wir es nicht als selbstverständlich ansehen, dass sie für uns kocht, putzt und die Wäsche macht. Andererseits ist sie in ihrer Familie die Einzige, die einen Job hat. Würden meine Eltern sie feuern, wäre das für sie eine Katastrophe.“

Dear Reader: "Ich fühle die Schuld"
Weil das in Südafrika immer noch eine häufige Situation ist, postete MacNeil auf Facebook einen Aufruf, ihr Namen von ähnlich geliebten Haushälterinnen zu schicken, die sie in den Song einbauen würde. „Die Reaktion war überwältigend. Wie eine Welle von: ,Bitte, bitte nimm meine Ersatz-Mami!‘“

Bewertung: Die Musik ist zart und frühlingshaft, fusioniert Klassik-Elemente mit Singer-Songwriter-Pop.
Und geht – gepaart mit den einfühlsamen Texten – tief unter die Haut.

KURIER-Wertung: **** von *****

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