CD der Woche: Traum von einer neuen Welt

Eine Ausnahmeerscheinung im Pop: Antony Hegarty von Antony and the Johsons träumt auf seinem neuen Album von einer neuen Welt.

Da gibt es auch für die größten Zyniker kein Entrinnen: Die Musik von Antony Hegarty ist pure Emotion, in Noten gegossene Selbstbestärkung der Schwachen und Freude an der eigenen Andersartigkeit, ist zugleich absolute Verwundbarkeit und rücksichtslose Selbstbefreiung.

Mit Liedern zwischen Chanson, Pop, Oper und Rock ’n’ Roll, wesensverwandt der Musik (nicht der Stimme) von Rufus Wain­wright, hat Hegarty einen Sonderplatz im Pop gefunden. Diese Musik lebt an einem emotionalen Utopieort, an dem die Außenseiter, die Un- und Außergewöhnlichen unter ihresgleichen sind, an dem der 1,95 Meter große Hüne mit Boy George zusammen in aller Zärtlichkeit "You Are My Sister", du bist meine Schwester, singt.

Wo er davon träumt, vom Buben zur wunderschönen Frau zu erwachsen. Und angstfrei von den "großartigen Aspekten" des Transgender-Seins berichten kann: "Man hat fast automatisch eine eigene Religion: Ich bin eine Hexe", sagt Hegarty mit einem Schmunzeln. "Ich wurde katholisch erzogen – und habe mich dann enttauft", erzählt er. "Aber als Kind habe ich viel gebetet und auf eine Antwort gewartet. Vielleicht warte ich in meiner Musik immer noch darauf."

Werkschau

Nun ist "Cut The World" erschienen, mit neu arrangierten und orchesterbegleiteten Auszügen aus Hegartys bisherigem Schaffen, unter anderem aus dem unübertroffenen, hörenswerten Album "I Am A Bird Now". Durch die Orchestrierung haben die filigranen, hoch sensiblen Songs eine "ganz neue Muskulosität" bekommen, sagt Hegarty im KURIER-Gespräch. "Aber ich hoffe, sie haben sich ihre Intimität bewahrt – das war mir sehr wichtig."

Mit seiner bezaubernden Counterstimme macht Hegarty Songhighlights wie "Another World" (mit spannenden, im Pop viel zu wenig gehörten harmonischen Abenteuern), "Twilight" oder "The Rapture" unverwechselbar. Das Album transportiert auch ein inhaltliches Anliegen Hegartys: Er träumt von einem "Future Feminism", dass also die Welt, die Gesellschaft, die Unternehmen nach weiblichen Prinzipien "und nicht hierarchisch wie eine Armee" regiert werden. "Davon träume ich, von mehr politischer Teilnahme besonders von Frauen", sagt Hegarty zum KURIER. "Unsere Zukunft hängt davon ab, dass wir alles radikal umstellen: Der Kapitalismus ist derzeit in so einer gewaltsamen Phase, dass es fast unmöglich ist, ihn zu zähmen. Eigentlich sollten nicht die Interessen von Unternehmen, sondern wir als Spezies im Mittelpunkt stehen."

Verbrechen

CD der Woche: Traum von einer neuen Welt

Erderwärmung und Globalisierung bewirken aber das Gegenteil: "Kaum haben wir das Eis am Nordpol zum Schmelzen gebracht – eine Katastrophe! –, streiten sich die Staaten und Unternehmen darum, wer das freigegebene Gebiet und seine Energiequellen ausbeuten kann", sagt Hegarty. "Das ist so typisch: Unternehmen tragen keine Verantwortung. Wir finden immer erst im Nachhinein heraus, was sie verbrochen haben."

Das Internet habe zwar neue Möglichkeiten zur politischen Teilnahme geschaffen. "Aber so schnell diese Freiheit geschaffen wurde, so schnell wurde sie auch wieder unter Kontrolle gebracht", sagt Hegarty: Die Menschen unterhalten sich heute vorwiegend via Facebook, "eine der größten Firmen der Welt. Ich glaube nicht, dass man darauf vertrauen kann, dass sich Facebook, Apple oder Google um unsere Interessen kümmern." Das betreffe auch das Musikbusiness: "Diese Unternehmen kriegen heute jenes Geld, das früher an Künstler floss. Das muss man akzeptieren."

KURIER-Wertung: ***** von *****

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