"Carmen" in Bregenz: So Instagram-tauglich ist Oper nirgendwo sonst
So groß kam einem das Schicksal noch nie entgegen: Überdimensionale Hände (links ein glimmender Tschick, dem Doch-Nicht-Rauchverbot sei dank!) werfen Riesen-Spielkarten auf die Bregenzer Seebühne. Herz-Dame! Pik-Bub! Karo-As! Kartenleser-Sinnbilder für das tragische, Opernhit-unterfütterte Liebesdrama rund um „Carmen“, das heuer zum zweiten Mal die große Festspielproduktion ist.
Zur Premiere war dieses Schicksal dem Publikum jedenfalls gnädig: Das Wetter war ein Traum (und dass die Zuseher trotzdem ein paar Tropfen abbekamen, lag am herüberwehenden Bühnenregen). So gab es zum Auftakt der heurigen Spielzeit einen Seebühnenabend, wie ihn sich das Publikum wünscht.
Schöne Bilder
Kasper Holtens Inszenierung und das Bühnenbild von Es Devlin tun auch im zweiten Durchgang, was die Seebühne verlangt: Sie reihen Bild (spielende Kinder hänseln die kleine Carmen) an Bild (die erwachsene Carmen hänselt die notgeilen Soldaten) an Bild (Statisten klettern auf den überdimensionalen Karten herum) an Bild (ein schöner Mann, kostümiert als rotes Tuch, tanzt um einen großen Mann, kostümiert als Stier).
Es gibt Aufwachmomente (Carmen hüpft doch tatsächlich ins Wasser und schwimmt weg!) und die Art von Massenszenen, die es nur auf der Opernbühne gibt, ja geben darf: Eine stilisierte Massenprügelei unter den Arbeiterinnen rund um Carmen, erotischen Zigeunertanz, der schöne Escamillo (bei der Premiere Kostas Smoriginas, die Besetzungen wechseln) gibt kreischenden Fans Autogramme – lauter Instagram-Momente auf der Riesenbühne. Und es gibt, zum Glück, auch die bewegenden Augenblicke, zu den großen, bekannten Hits von Georges Bizet.
Gaëlle Arquez bestach als schön phrasierende, präsente Carmen – sie musste man auf der großen Bühne nie suchen; die Spanierinnen-Klischees verkörpert sie ungezwungen, und die Dramatik bei der finalen, durch einen Atemschlauch ermöglichten Ertränkungsszene war mitreißend. Daniel Johansson als Premieren-Don-José und Smoriginas spielten gut und sangen adäquat; dank der beeindruckenden Soundanlage waren alle Stimmen so präsent, wie man es sich in der Oper oft wünschen würde.
Die Wiener Symphoniker unter Antonio Fogliani zeigten sich in der zweiten Ausgabe heimisch in der Partitur: Hier passte alles, der Abend stand dem Orchester überaus gut. Und das Publikum ging nach Feuerwerk und Bootchoreografie, nach Kletterszenen und Stierkampf-Ballett im Bewusstsein nach Hause, viel erlebt zu haben. Letztlich standen die Karten auf der Bühne also weniger für Schicksal, Liebeswirren oder Spielerglück. Sondern für das, was man sich von der Seebühne am meisten wünscht: Ein „Full House“.
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