Camilla Nylund: "Es gibt eine Zukunft auch nach diesem Leben"
Die finnische Sopranistin über den Klassik-Betrieb in Zeiten von Covid, die Bombenstimmung in Bayreuth, anstehende Rollendebüts sowie ihre Konzerte demnächst in Gmunden und Poysdorf.
05.08.21, 05:00
von Susanne Zobl
Sopranistin Camilla Nylund singt an den bedeutendsten Häusern. Derzeit ist sie die Eva in Richard Wagners „Meistersingern“ bei den Bayreuther Festspielen. Im August gastiert sie zweimal in Österreich: Bei den Festwochen Gmunden (morgen, 6. 8.) und bei „Klassik am Platz“ in Poysdorf (13. 8.).
KURIER: Sie pendeln diesen Sommer zwischen Auftritten in Bayreuth, Finnland und Österreich. Ist für Sie wieder Normalbetrieb?
Camilla Nylund: Wenn ich jetzt auf der Bühne stehe, ist das ein Stück wunderbare Normalität. Man braucht das Feedback, man singt für das Publikum. Man ist sehr dankbar, dass es stattfindet. Aber um Bayreuth haben wir gebangt.
Wie ist die Stimmung am Grünen Hügel?
Dort ist eine Bombenstimmung. Man hat das Gefühl, dass das Publikum total ausgehungert ist, dass es sich so freut, wieder in einer Aufführung zu sitzen, und vor allem in Bayreuth, wo sich jeder gefragt hat, ob das überhaupt möglich sein wird.
Sie sind mit Günther Groissböck oft auf der Bühne gestanden. In Bayreuth treten Sie beide in den „Meistersingern“ auf. Wie sehen Sie es, dass er sich von der Partie des Wotan in Wagners „Ring“ zurückgezogen hat?
Ich habe ihn in Bayreuth nur kurz gesehen, denn er ist als Nachtwächter hinter der Bühne, und wir hatten keine gemeinsamen Proben. Ich kann ihn aber verstehen und bewundere diesen Schritt, Nein zu sagen, weil es nicht geht. Denn das ist für einen Sänger sehr traurig, und ich weiß, wie lang er sich mit dieser Rolle beschäftigt hat.
Viele kritisieren seine Absage jetzt sehr hart.
Er muss jetzt auf seine innere Stimme hören. Da wird man ja verrückt, wenn man alles liest, was im Internet geschrieben wird. Man muss sich auf sich selbst konzentrieren. Aber Günther ist ein Kämpfer, und ich hoffe, dass er gestärkt aus dieser Situation gehen wird. Er ist auch noch jung und er hat noch viel vor sich.
Wie kam es dazu, dass Sie nun auch in Gmunden und in Poysdorf auftreten?
Ich trat vor kurzem mit dem Pianisten Helmut Deutsch auch in Finnland bei einem sehr kleinen Festival auf. Das war nicht das erste Mal, aber ich dachte, das muss jetzt sein. Denn die Klassik-Branche hatte in Finnland in den vergangenen Monaten sehr viel zu leiden. Die Oper war bis jetzt geschlossen. Ich finde, man muss jetzt immer versuchen, so viel Kultur wie möglich unter die Menschen zu bringen. Das ist jetzt meine Devise. Ich möchte auch, dass man rund um Gmunden und in Poysdorf die Chance hat, etwas Tolles zu erleben. Man muss nicht nach Wien fahren oder nach Bayreuth oder nach Salzburg. Und Gmunden ist traumhaft, überhaupt das Salzkammergut und Österreich im Sommer. Und Poysdorf. An diesem Ortsschild fahre ich immer vorbei, wenn ich von Dresden nach Wien mit dem Auto unterwegs bin. Ich habe mich oft gefragt, was dort zu sehen ist. Und den Dirigenten Matthias Fletzberger kenne ich als tollen Musiker.
Sie führen mit Ihrem Ehemann Anton Saris Auszüge aus Ariadne auf Naxos auf.
Das passiert nicht sehr oft, aber es ist schön, dass wir das gemeinsam machen können.
Empfinden Sie Live-Auftritte seit dem Lockdown anders?
Ich fände es schön, wenn die Leute wieder ohne Maske im Saal sitzen können. Man glaubte immer, das ist nur in Asien so. Ich hätte nie gedacht, dass es hier auch so weit kommen kann. Ich will nicht wahrhaben, dass das unsere Normalität sein soll, aber wenn das die einzige Möglichkeit ist, dass wir spielen können, muss ich das in Kauf nehmen. Aber man ist froh über jeden Auftritt. Man fragt sich schon, wie der Herbst aussehen wird. Man hofft, dass die Kultur, die Opernhäuser nicht wieder geschlossen werden.
Waren die monatelangen Schließungen überhaupt gerechtfertigt?
Das Problem war, dass zum ersten Mal seit einer langen Zeit etwas gekommen ist, das man nicht beherrschen konnte. Denn heute möchte man doch alles beherrschen, man möchte alle Krankheiten besiegen, zum Mond fliegen. Dieses Virus hat alle verunsichert. Ich habe gemerkt, wie meine Kinder gelitten haben. Wir wollen in jeder Branche Normalität. Wir können in unserem Beruf kein Homeoffice machen, und denken Sie an die Hotels und Restaurants. Wie lange wird uns das begleiten? Ich möchte trotzdem zuversichtlich sein und hoffe, dass uns die Politik auch unseren Beruf ermöglicht.
Camilla Nylund wurde 1968 in Vaasa (Finnland) geboren, studierte u. a. am Mozarteum in Salzburg. Sie zählt zu den führenden Interpretinnen von Richard Strauss und ist an den bedeutendsten Opernhäusern gefragt. 2019 wurde ihr der Titel Kammersänger von der Wiener Staatsoper verliehen. Camilla Nylund ist mit dem Tenor Anton Saris verheiratet. Das Paar hat zwei Töchter.
In der kommenden Spielzeit treten Sie nicht an der Wiener Staatsoper auf. Gibt es Pläne für die nächsten Jahre?
Für die übernächste Spielzeit. Die Staatsoper ist mein Stammhaus, und ich möchte in Wien singen, weil ich Österreich sehr liebe. Ich habe hier studiert, bin österreichische Kammersängerin und hoffe, dass mir die Zukunft in Wien viele schöne Partien bringen wird. Es gibt kein anderes Land, das so ein Publikum hat, und in dem die Oper so präsent ist, auch in den Medien. Ich bin der Staatsoper dankbar, dass sie mit dem ORF versucht hat, etwas während der Schließzeit auf die Beine zu stellen. Aber die Zukunft ist sehr unsicher. Wir müssen lernen, mit diesem Virus zu leben und trotzdem eine gewisse Normalität erreichen. Aber das Virus hat uns alle in dieser Branche so aus der Bahn geworfen.
Wie planen Sie in dieser Zeit?
Zwei Debüts mit Partien von Richard Wagner, Isolde und Brünnhilde, sind in Zürich geplant, meine erste Tosca kommt in Helsinki und ich arbeite in Wien weiter mit André Heller an „The Great American Songbook“.
Was raten Sie Ihren beiden Töchtern, eine ist ja schon aktiv?
Sie hat Gesang studiert, jetzt aber wird sie in Berlin Musical studieren, das wollte sie schon immer. Es kann aber auch sein, dass sie zur Klassik zurückkehrt. Ich finde, sie soll machen, was sie will.
In Gmunden sind Sie die Solistin in Mahlers 4. Symphonie. Haben die himmlischen Freuden für Sie jetzt nach dem Lockdown eine andere Bedeutung?
Für mich war diese Symphonie immer so bewegend. Mahler hat viel persönliches Leid erfahren und trotzdem die Zuversicht nicht verloren. Immer, wenn ich diese Lieder singe, denke ich, es gibt eine Zukunft auch nach diesem Leben.
Festwochen Gmunden
Camilla Nylund singt Lieder von Arnold Schönberg, Wolfgang Korngold, Alexander von Zemlinsky und ist die Solistin in einer Kammermusikfassung von Gustav Mahlers 4. Symphonie. Vinzenz Praxmarer dirigiert das Orchester Divertimento Viennese.
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