Musical-Weltpremiere im Stadttheater

Von Werner Rosenberger „Was für ein bezaubernder Ort!“, sagte Frank Wildhorn im KURIER-Exklusivgespräch bei einem Kurzbesuch im Stadttheater Baden. Es soll mit dem neuen künstlerischen Leiter Andreas Gergen ein klares Profil als Musical-Hotspot bekommen, u. a. in der Saison 2027/’28 mit einer Uraufführung des gefeierten Broadway-Komponisten.
„Orlando“ nach Virginia Woolfs fiktiver Biografie eines jungen Adeligen im elisabethanischen England, der sich in eine Frau verwandelt; eine Satire über Geschlechterrollen und ein Kommentar zur Flüchtigkeit der Identität.
Inspiriert vom Film
„Das ,Orlando’-Projekt begann mit meiner Ex-Frau Linda Eder, die aus Österreich kommt. Ihr Vater Georg ist vor mehr als 50 Jahren aus Leithaprodersdorf in die USA ausgewandert. Linda und ich haben vor vielen Jahren den Film ,Orlando’ mit Tilda Swinton in der Titelrolle gesehen“, sagt Wildhorn.
„Ich fand, das sind wunderbare musikalische, lyrische Welten, die sie im Laufe der Zeit bewohnt. Und in ihrem Leben führen die äußeren Konflikte der Figur und ihre Auseinandersetzung mit ihnen und – noch wichtiger – ihre inneren Konflikte, mit denen sie sich auseinandersetzt, zu Musik und Lyrik. Erst seit heuer ist ,Orlando’ urheberrechtsfrei.“
In London wurde zuletzt eine Adaptation von Virginia Woolfs Roman im Theater aufgeführt, u. a. mit der jungen Schauspielerin Emma Corrin, die in der mit Preisen überhäuften Netflix-Produktion „The Crown“ Prinzessin Diana dargestellt hat. Ich habe gehört, es war großartig und erfahren, dass die Aufführungsrechte für ein Musical zu haben sind. Mit Thomas Kahry und Andreas Gergen als Partner habe ich ein gutes Gefühl.“
Pittoreskes Sittengemälde
Der Roman „Orlando“ ist ein Meilenstein in der feministischen Literatur und ein richtungsweisender Text in der Geschlechterforschung.
Er spielt in raffiniert ironischer Weise mit gesellschaftlichen und historischen Realitäten, zeichnet ein pittoreskes Sittengemälde der englischen Gesellschaft seit dem Elisabethanischen Zeitalter und beleuchtet dabei kritisch die dem weiblichen Geschlecht in den Jahrhunderten zugedachten Rollen.
Das Thema: Orlando kommt als Bub zur Welt und macht als Frau Karriere.

Kreativ-Team: Andreas Gergen, Frank Wildhorn und Thomas Kahry ( v. li. nach re.) wollen 2027/’28 ein neues Musical zur Welturaufführung bringen.
Perfekt für ein Musical
„Das passt gut zur heutigen Welt und erzählt von Dingen, über die wir reden und singen können. Da gibt es die Möglichkeit für viele schöne Gesangspartien“, sagt der 66-Jährige.
„Ich glaube, ich kann die Atmosphäre schaffen für Zeit und Raum und mit meiner Musik vermitteln, was Er/Sie in diesen Tagen durchmachen. Der Stoff ist einfach perfekt für ein Musical.“
Für die Orchester-Arrangements von „Orlando“ ist Koen Schoots vorgesehen. Er war schon bei „Jekyll & Hyde“ Ende der 90er-Jahre in Bremen Wildhorns Partner und hat viele seiner Shows wie „Der Graf von Monte Christo“ und „Artus – Excalibur“ gemacht, heuer im Frühjahr auch das Historienepos „Einstein – A Matter of Time“ in St. Gallen.
Die Liedtexte für „Orlando“ schreibt eine junge Autorin: Die in New York lebende Morgan Reilley kommt aus der LGBT-Community.
„Orlando“ gibt es bisher als Oper, „eine fiktive musikalische Biografie“ in 19 Bildern von Olga Neuwirth, in der Wiener Staatsoper 2019 uraufgeführt.
„Orlando“ in Baden wird das Thema erstmals als Musical präsentieren.
Wer wird Orlando spielen?„Eine interessante Frage. Mit dem Casting haben wir uns noch nicht befasst. Wie besetzt man die Figur? Sicher mit zwei verschiedenen Darstellern. Das wird spannend. Ist es ein Mädchen? Ist es ein Mann? Wir haben noch nie eine Show wie diese gecastet. Ob Mann, Frau, Transgender oder beides, wir wissen es noch nicht. Das ist Neuland.“
Symphonie „Vienna“
Wie Wildhorns geplante 3. Symphonie über Wien. „Ich habe höllische Angst davor. Denn ich liebe diese besondere Stadt, wo die Götter auf mich herabblicken und sagen: ,Was machst du hier?’ Meine Mutter sagte, als ich ihr eröffnete, ich hätte eine Symphonie geschrieben: ,Du kannst doch nicht einmal Noten im Bassschlüssel lesen.’“
Die Symphonien sind „etwas wunderbar Neues“ in seinem Leben: „Ich fühle mich als Komponist wieder so jung. Ich habe das Gefühl, ich stehe noch ganz am Anfang und bin noch ein Schüler. Aber es ist wichtig, denn es beeinflusst alles, was ich schreibe.“ Auch „Orlando“.
„Ich kann mit neuen Farben arbeiten, die ich noch nie hatte. Ich weiß noch nicht viel über die ,Orlando’-Partitur, aber ich bin mir ziemlich sicher, sie wird von Klassik bis Pop reichen und allem dazwischen, je nachdem, wo und mit wem man die Hauptfigur hinstellt. Ich kann es kaum erwarten, loszulegen.“
Hartes Pflaster New York
Wie denkt er über die LGBTQIA- und Genderqueer-Thematik und die spürbare Mobilisierung gegen queere Menschen in vielen Ländern?
„Das muss man ignorieren. Kunst ist Kunst. Wenn sie gut ist, wird sie sich durchsetzen. Dann werden die richtigen Leute und das Publikum das erkennen. Die Politik ändert sich. Heute, morgen ist alles anders. Es ist im Moment sehr schwierig. Zur Zeit von Trump Künstler in New York zu sein, ist hart. Meine Freunde in der LGBT-Community leiden, sind nervös und haben Angst. Es ist nicht wie in Deutschland 1939. Aber man weiß nicht, wie schlimm es werden kann.“
Jetzt habe jeder, der jeden hasst, eine laute Stimme in den USA: „Ob jemand schwarz, jüdisch, lateinamerikanisch oder ein Einwanderer von irgendwoher ist oder welche Sexualität auch immer hat, es gibt so viel Schlechtes, so viel Hass. Es ist einfach nur traurig. Über der New Yorker Theaterszene hängen dunkle Wolken.“
Broadway
Der Broadway ist heute viel offener als 1996/97. „Damals sagten auch einige: ,Wenn es nicht Sondheim ist, wollen wir nichts davon wissen.’ Das hat sich geändert.“ Ob „König der Löwen“, „Hamilton“, „Waitress“ oder was auch immer: Theater und Popmusik sind mehr denn je miteinander verbunden. Das habe vor allem mit TV-Serien wie „Smash“ oder „Glee“ zu tun.
Wildhorn: „Die jüngeren Generationen wachsen mit Sachen auf, die gleichzeitig Theater und Popmusik sind. Das sind gute Nachrichten. Das stimmt mich optimistisch für die Zukunft. Eine Generation stirbt buchstäblich aus – und mit ihr die Genrewächter. Besonders bei Musicals geht es nicht mehr um Kritiken. Es geht ums Internet, um soziale Medien und darum, was die Leute sagen. Es hat sich viel verändert.“
Andererseits wurde am Broadway im Juli „BOOP!“ auf Basis der legendären Figur Betty Boop aus der frühen Zeichentrick-Ära nach nur 112 Vorstellungen abgesetzt. Die Musical-Produktion soll 32 Millionen Dollar gekostet haben. Auch die Bühnenversion von „Smash“ nach der gleichnamigen TV-Serie um 35 Millionen Dollar war ein Flop. Bei beiden Shows blieben die Ticketverkäufe weit hinter den Erwartungen zurück.
Wildhorn: „Bei Musical-Shows steht immer viel auf dem Spiel. Wir müssen es mit ,Orlando’ also richtig machen. Gleich beim ersten Mal.“
Musik und KI
Was denkt Wildhorn als Komponist über künstliche Intelligenz? „Sie macht mir Angst. Es ist das Ende der Welt. Wenn du der KI sagst, schreib’ ein Lied im Stil von Wildhorn, wird es sicher nicht so gut. Dann fütterst du die KI mit Noten und Material von mir, und Sekunden später schreibt die KI das Lied neu und besser. Es ist immer noch nicht Wildhorn. Aber ich glaube, in sechs Monaten bin ich arbeitslos. Das ist beängstigend. Ein lieber Freund von mir ist Alexander Dinelaris, Drehbuchautor von ,Birdman’, ,Shape of Water’ und ,Revenant’. Die KI kann eine Szene in seinem Stil schreiben. Es ist das Ende der Welt. Es ist beängstigend.“
Whitney-Houston
Und weiß der Komponist des Whitney-Houston-Hits „Where Do Broken Hearts Go“ (1988), wohin gebrochene Herzen gehen?
„Nein. Ich bin mit meiner dritten Frau verheiratet, also weiß ich es natürlich nicht. Aber nachdem Whitney und ich dieses unglaubliche Abenteuer zusammen erlebt hatten, schrieb sie mir in einem Brief: ,Ich habe noch immer keine Ahnung, wohin gebrochene Herzen gehen.’“
„Sie war die beste Sängerin von allen. Die Nummer eins. Wie sie sich selbst ruiniert hat, ist sehr traurig. Ich habe mit vielen der besten Sängerinnen gearbeitet. Aber keine war wie sie. Sie hatte diese Kombination aus Kraft, Anmut, Flexibilität. Wie sie mit Text, Phrasierung und der Schönheit des Sounds umging … Unglaublich!“
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