Was den Schauspieler Alfred Balthoff so ärgerte
Bevor Alfred Balthoff 1971 am Burgtheater engagiert wurde, war er die Synchronstimme von Fernandel in Don-Camillo-Filmen und von Peter Ustinov in „Quo vadis“, von Alec Guinness, Louis de Funès, Charlie Chaplin in „Rampenlicht“ und, und, und.
Im Theater war er unzugänglich. Ein Schwieriger, und das war der Grund:
Balthoff - im Foto oben rechts mit Heinz Drache - sah, wie nett Theaterdirektoren generell mit ehemaligen Nazis umgingen. Wie einer von denen, Mathias Wiemann, in Zürich Nathan den Weisen spielen durfte, ist das nicht peinlich?, und wie man Bernhard Minetti trotz seiner Vergangenheit hofierte.
Deshalb war Balthoff verärgert.
In seiner Biografie heißt es bloß: Er stammte aus Oberschlesien, war Jude, wurde in Wien als Schauspieler ausgebildet ... und überlebte den Krieg im Berliner Untergrund. Darüber weiß man jetzt Genaues.
Jetzt sieht man, wie er sich im Haus Nr. 3 am Waldsängerpfad, einem kubischen Architekturjuwel von Peter Behrens, versteckt; damals hieß die Straße nach einem Publizisten und Rassisten Betazeile.
Das Buch des Schweizer Autors und Regisseurs Thomas Blubacher gibt das neue Wissen sehr ansprechend weiter. Dazu lässt er einen Chor rufen: Das Schreckliche darf nicht akzeptiert werden, der Kampf lohnt!
Canaris
In dem Haus wohnte der jüdische Schauspieler Fritz Wisten, ein Wiener vom Alsergrund. Ehefrau und seine beiden Töchter waren evangelisch, das schützte ihn nur wenig: Dass er nicht verschleppt wurde, verdankte er Admiral Canaris in Haus Nr. 17. Hitlers Geheimdienstchef der Wehrmacht unterstützte den Widerstand.
Alfred Balthoff war 1942 schon für die Deportation ins KZ Riga eingeteilt und entkam den Gestapo-Männern.
Er hatte in Berlin etwa 60 Quartiere mit guten Fluchtmöglichkeiten – darunter ein Stiegenhaus, eine leere Wohnung, auch beim Kollegen Albin Skoda (noch ein Wiener) konnte er kurz rasten.
Bei Familie Wisten durfte er bis Kriegsende bleiben, man nahm die zusätzliche Gefahr wie selbstverständlich hin. Dem „Freddy“ gehörte die Couch im Wohnzimmer. Fliegengitter verhinderten, dass man ihn von draußen sehen konnte.
Gegenüber wohnte der Leiter des Rassenpolitischen Amtes der NSDAP, und ums Eck war Heydrich zu Hause, Organisator der Schoah.
Nachts schlich Balthoff durch Berlin, um am Schwarzmarkt Lebensmittelmarken zu kaufen. Als Jude und Homosexueller wurde er doppelt verfolgt, Knutschflecken von seinem Freund Ernstl, einem deutschen Landser, zeigte er stolz Wistens Tochter Susanne.
(Ernstl „fiel“ in Sizilien.)
Mit Susanne ging er im März 1943 zur Premiere von Shaws „Heiliger Johanna“ (= Käthe Dorsch) ins Schauspielhaus am Gendarmenmarkt.
Das ist Chuzpe.
Als Fritz Wisten später Intendant des Theaters am Schiffbauerdamm wurde, hatte Balthoff große Erfolge.
Warum die Freundschaft ein plötzliches Ende nahm, bleibt ewig geheim: Balthoffs schriftlicher Nachlass, so berichtet Thomas Blubacher, wurde vernichtet.
Als sich in „Manche mögen’s heiß“ (1959) der verkleidete Jack Lemmon vor Verehrer Joe E. Brown als Mann zu erkennen gibt, da ist es Alfred Balthoffs Stimme, von der das legendäre Filmzitat kommt:
„Na und? Niemand ist vollkommen.“
Passt.
Thomas
Blubacher:
„Das Haus am Waldsängerpfad“
Berenberg Verlag.
192 Seiten.
22,70 Euro
KURIER-Wertung: ****
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