Warum viele Wörter so „dreckig“ sind
Sprache ist klüger, als es die Menschen sind, die sie sprechen.
Paolo hält – was soll man machen? – zum Beispiel seine Mutter für eine „blöde Kuh“. Er ist schrecklich unkorrekt. Sein Vater verstummte wenigstens, aber die Mutter macht so viele Wörter ... „dreckig“.
Dreckig? Deshalb duscht Paolo oft. Reibt und schrubbt seine Haut; und danach gleich noch einmal.
Er will sich von den Wörtern nicht schmutzig machen lassen.
Heuchelei
„Muttersprache“ ist das sprachspielerische Debüt der Italienerin Maddalena Fingerle (die inzwischen in München lebt, wo sie Germanistik und Italianistik studiert hat).
Der Roman, der sich an Thomas Bernhard’schen Wiederholungen und Variationen orientiert, wird zu Recht zurzeit international gefeiert.
Allerdings muss man darauf gefasst sein, dass Paolo – vor allem gegen Ende, wenn er Vater wird – die Nerven gehörig strapaziert.
Er erzählt sein Leben.
Behauptet, das erste Wort, das er sagte, war nicht „Mama“, sondern: Wort.
Ist von Wörtern besessen. Will Ehrlichkeit, eine ehrliche Welt, und dass man die Dinge beim Namen nennt. Beim richtigen. Dass nicht geheuchelt wird.
Mutter und seine Schwester, so findet er, plappern ja nur, damit „es geil rüberkommt“.
Paolo erzählt in drei Kapiteln. 1.) ist er jung in Bozen. 2.) wandert er nach Berlin aus, wird Bibliothekar und lernt Mira kennen, deren Worte für ihn „supersauber“ sind. (Anfangs.)
Es ist halt ein Unterschied, wer sie verwendet. Mit ihr kehrt er 3.) nach Bozen zurück und scheint endgültig überzuschnappen.
Er ist Italiener in Südtirol. Das gibt dem Roman zusätzlich Raum, und in Bozen wird man ihn wohl anders lesen – als böses Porträt einer dreisprachigen, zweigeteilten Stadt, in der nicht offen gesagt wird, was man denkt.
„Unflat“ – ein unsauberes Wesen – ist deshalb jenes Wort, das er für seinen Geburtsort Bozen übrig hat.
Was „seine“ Autorin Maddalena Fingerle, geboren 1993 in Bozen, bestimmt nicht in Ordnung findet. Aber Paolo führt selbstverständlich ein Eigenleben.
Er ist Italiener, doch fühlt er sich nicht als Italiener. Als Südtiroler und Ladiner schon gar nicht. Was sollen immer diese Einteilungen?
Als er das Formular zur Sprachgruppenzugehörigkeit ausfüllen soll, verweigert er. Angeblich schreiben Italiener oft, dass sie deutschsprachig sind – das erhöhe ihre Chancen auf einen Job.
Paolo spielt nicht mit.
Er verscherzt sich’s mit allen – mit Hundebesitzern sowieso: „Mir gefallen Hunde bloß in den Romanen, weil sie nur während des Lesens stinken, und dann verschwindet der Gestank ...“
Maddalena Fingerle:
„Muttersprache“
Übersetzt von Maria E.Brunner.
Folio Verlag.
180 Seiten.
22 Euro
KURIER-Wertung: **** und ein halber Stern
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