... und wieder 19 Bücher, ganz kurz

... und wieder 19 Bücher, ganz kurz
Diesmal mit dem Tod, der Beamter für Platzbeschaffung ist, mit Papierfliegern, Fleischlaberln, Eskimos ...

Keine Menschen, nur Maschinen

Pasolini. Der Dichter und Filmregisseur mochte keine Interviews, er fand die Interviewten  lächerlich. Das war kokett von ihm: Pasolini gab gut 300 Interviews. Diese Auswahl zeigt, wie er im Gespräch seine Widersprüchlichkeiten inszenierte. Zuletzt beklagte er, dass es keine menschlichen Wesen mehr gibt, nur komische Maschinen, die mit Gewalt aufeinanderprallen.p

Pier Paolo Pasolini:
 „... in persona“ Übersetzt von
Martin Hallmannsecker. Vorwort Gaetano Riccari. Wagenbach Verlag.
208 Seiten. 22,70 Euro

KURIER-Wertung: **** und ein halber Stern

 

Malen im Wienerwald

Werkschau. Elfriede Bruckmeier, die Witwe, sagt: "Es ging ihm immer um die Schönheit, um die bunte Natur." Und es ging Lothar Bruckmeier (1927 - 2016) als Künstler darum, Diener an der Kunst zu sein "und nicht Vasall irgendwelcher, oft selbsternannter, Experten." Da war Eichgraben im Wienerwald für den Münchner ein idealer Ort für sein "Glück, malen zu dürfen." Öl, Acryl, Holzschnitte, Aquarelle, Lithografien, Collagen ... Schaut man sich die Bilder in den verschiedenen Techniken an, weiß man nicht, was man unverzüglich lieber machen würde: Sie daheim aufzuhängen oder selbst zu malen versuchen, einfach so glücklich sein.

Lothar Bruckmeier: "Vom Glück, malen zu dürfen"

Verlag Bibliothek der Provinz. 223 Seiten, 34 Euro

KURIER-Wertung: **** und ein halber Stern

Bruckmeiers Bild oben hat den Titel Landschaft, 1997, Mischtechnik

 

Das Kichern gehört Josy

Kriminalroman. „Am roten Strand“ wird als ungewöhnlicher Thriller angepriesen. Was die Komposition betrifft, stimmt das. Es geht um Kindesmissbrauch in vielen Fällen auf einem Campingplatz, es geht um Rache der Opfer, und jede Person wird vom Autor sehr genau begutachtet. Der Stil aber ist, wie so oft, lässig lästig:„Josy lacht leise. Es ist eher ein Kichern. Josys Kichern.“

Jan Costin Wagner:
 „Am roten Strand“
 Galiani Verlag.
304 Seiten.
22,70 Euro

KURIER-Wertung: *** und ein halber Stern

 

Jetzt redet die Großmutter

Eskimo. Die Urgroßmutter hatten wir schon (im Roman „Kukum“). Es folgt die Großmutter von Michel Jean, dem Innu aus Quebec. Er lässt die zur Sesshaftigkeit gezwungene Nomadin erzählen, und man spürt dabei die Angst und den Stolz des Autors. Angst vor dem aktuellen Rassismus in Kanada, Stolz, dass man wenigstens ein bisschen von der Kultur seines Volkes retten konnte.

Michel Jean:
 „Atuk“
 Übersetzt von Michael Killisch-Horn. Wieser Verlag.
220 Seiten. 21 Euro

KURIER-Wertung: ****

 

Das Abenteuer vom anderen Leben

Unterwegs. Reisen bedeutet für den Reporter Juan Moreno (der den „Spiegel“-Kollegen Relotius mit dessen erfundenen Reportagen auffliegen ließ): „Ich möchte wissen, wie ein anderes Leben ist.“ Damit ist Moreno eine harte, junge Konkurrenz für den ebenso spannenden Reisejournalisten Helge Timmerberg.  Die Texte sind Abenteuer – im Regenwald, Nepal oder Brandenburg.

Juan Moreno:
 „Glück ist kein Ort“
 Verlag Rowohlt Berlin.
304  Seiten.
22,70  Euro

KURIER-Wertung: ****

 

Vom Amt für Platzbeschaffung

Sterben, Leben. Er gibt nicht. Nie gibt er etwas. Er nimmt nur. Der Tod ist ein Beamter, beauftragt vom „Amt für Platzbeschaffung“. Mit Dialogen zwischen Sensenmann und Engel und dazwischen Erzählungen, gewidmet  den toten Freunden und den Eltern, hofft der Soziologe Andreas J. Obrecht, dem Tod einmal lächelnd gegenübertreten zu können. Corona kommt dem Beamten recht.

Andreas J. Obrecht:
 „Semolina“
 Ibera Verlag.
352 Seiten.
25  Euro

KURIER-Wertung: ****

 

Zuerst muss man die Anfänge kennen

Zeitgeschichte. Die „Zwettler Zeitung“ wurde nicht in der Nationalbibliothek archiviert. Doch gehörte Herausgeber Anton Ohme zu den Waldviertler Wegbereitern Hitlers – als Hassschreiber, der die Drecksarbeit für Georg von Schönerer leistete, dessen Einfluss auf Hitler groß war. Ilse Krumpöcks Bücher sorgen dafür, dass man die Anfänge kennt, dann kann man sich dagegen wehren.

Ilse Krumpöck:  „Anton Ohme -
Der Söldling Schönerers“
 Eigenverlag. Bestellen über
ilse.krumpoeck@gmx.at
237 Seiten.

KURIER-Wertung: ****

 

Der Ur-Vegane vom Himmelhof

Diefenbach. Der Maler Karl Wilhelm Diefenbach (1851– 1913) war der Ur-Alternative. Ein Veganer, Ein Nudist. Auch ein diktatorischer Kommunenchef – etwa auf der Himmelhof-Wiese in Wien 13. Und oft krank, obwohl Naturbursch. Und oft verschuldet, obwohl seine Kunst begehrt war. Hätte  sich  T. C. Boyle mit diesem Leben beschäftigt, wäre der Roman wohl saftiger geworden.

Felix Kucher:
 „Vegetarianer“
 Picus Verlag.
232 Seiten.

KURIER-Wertung: *** und ein halber Stern

 

In der Geisterbahn durch den Krieg

Klassiker. Die Taschenbuch-Ausgabe eines vergessenen und bedeutenden Romans der deutschen Literatur aus dem Jahr 1969. Ein Wiener Journalist flüchtet vor den Nazis in die Schweiz, fühlt sich weiterhin verfolgt, es wird schaurig, grotesk, es ist satirisch, und dadurch wird’s zur Geisterbahnfahrt durch die Zeitgeschichte. „So lacht die Hölle!“ Der Titel von Eva Menasses Essay sagt alles.

Ulrich Becher:
 „Murmeljagd“
 Mit einem Essay von Eva Menasse.
Diogenes Verlag.
708 Seiten. 16,95 Euro

KURIER-Wertung: **** und ein halber Stern

 

Papierflieger mit guten Nachrichten

Barcelona. Das Warschauer Getto  wird in Barcelona lebendig ... wenn eine  alte Varietétänzerin aus Polen Papierflieger vom Balkon wirft, mit guten Nachrichten. Und Bananen. Für die Kinder, so sagt sie. Ein Bub kommt hinter ihr Geheimnis. Taschenbuch-Ausgabe von schwebenden 90 Seiten, in denen Juan Marsé ( 2020) zeigt, dass die Vergangenheit mit uns nicht abgeschlossen hat.

Juan Marsé:
 „Gute Nachrichten auf
Papierfliegern“ Übersetzt von Dagmar Ploetz. Wagenbach Taschenbuch. 96 Seiten. 11,95 Euro

KURIER-Wertung: **** und ein halber Stern

 

Zwei arme Teufel, einer ist tot

Malaysia. Warum erschlägt ein armer Teufel aus einem Fischerdorf einen  Wanderarbeiter aus Bangladesch? Der bekannteste aus Malaysia stammende Schriftsteller, Tash Aw, lässt den Täter erzählen.  Diese „Kleinigkeit“ wird zum universellen Roman über Kapitalismus. Doch  behält er, ganz malaysisch, die Ruhe, sodass man etwas nervös wird, wenn er nicht schneller weitermacht.

Tash Aw:
 „Wir, die Überlebenden“
 Übersetzt von pociao und Roberto de Hollanda. Luchterhand Verlag.
416 Seiten. 24,95 Euro

KURIER-Wertung: ****

 

So ist das, wenn jemand stirbt

Graphic Novel. Als wäre Kurt Vonneguts Antikriegsklassiker immer schon ein Comic gewesen ... Grandios ist die Umsetzung, was das Drehbuch betrifft und auch die Zeichnungen. Der Amerikaner hatte die Bomben auf Dresden als Kriegsgefangener erlebt. Im gar nicht schwer verständlichen Roman und im Comics heißt es, wenn jemand stirbt: So ist das. Es heißt sehr oft: So ist das.

Kurt Vonnegut mit Ryan North (Autor) und Albert Monteys (Zeichnungen): „Schlachthof 5“
Übersetzt Matthias Wieland.
Cross Cult. 192 Seiten. 36 Euro

KURIER-Wertung: ***** Höchstwertung

Die Zeichnung von Albert Monteys (ganz unten) ist diesem Buch entnommen

 

Ein Ansporn, um mit ihm zu leben

Nachlass. Er war ein Idol in Lateinamerika und ein Star in Europa. Pablo Neruda meinte, wer die Werke von Julio Cortázar nicht lese, sei verloren. Das stimmt vielleicht bei „Rayuela“ und „Album für Manuel“, er schrieb so viel und so Unterschiedliches. Die verstreuten Texte aus dem Nachlass sind Ansporn, um Cortázar ( 1984) nicht zu vergessen, sondern mit ihm zu leben.

Julio Cortázar:
 „Unerwartete Nachrichten“
 Übersetzt von Christian Hansen.
Berenberg Verlag.
176 Seiten. 25,95 Euro

KURIER-Wertung: ****

 

Abenteuer mit Fleischlaberln

Feuerküche. Hat nichts mit Grillerei zutun. Feuerkochen dauert   länger, man ist den Urmenschen näher. Topf direkt in die Glut (etwa für Sauerbrotsuppe mit pochierten Eiern). Oder Fleischlaberln auf  abgesplittertem Holz aufgespießt, in die heiße Asche  gesteckt. Oder Zitronen in niedere Glut legen,  dann aufschneiden, mit Zucker und Gin beträufeln ... Das ist Abenteuerurlaub!

Chris Bay und Monika Di Muro:
 „Feuerkochen“
 AT Verlag.
304 Seiten.
41 Euro

KURIER-Wertung: ****

 

Einer, der 65 von 32 Punkten schafft

Wetter. Sven Plöger ist Meteorologe der ARD (und leider nicht des ORF). Für die Maturaarbeit zum Thema Wetter bekam er  unmögliche 65 von 32 Punkten = „nicht bewertbar“, weil er so viel mehr wusste, als im Unterricht besprochen wurde. Hier ist er  unterwegs, wo das Klima besonders spannend ist: in den Alpen; und hat auch Ideen, um der Klimakatastrophe entgegenzuwirken.

Sven Plöger und Rolf Schlenker:
 „Die Alpen und wie sie unser
Wetter beeinflussen“
 Malik Verlag.
320 Seiten. 22,70 Euro

KURIER-Wertung: *** und ein halber Stern

 

Auch ohne Schwarz kommt Düsternis

Fantasy. Was der Schwede Stålenhag schreibt, illustriert er. Er malt und zeichnet digital, schafft Düsternis auch ohne Schwarz, und darauf liegt auf den oft doppelseitigen Bildern  in „Das Labyrinth“ das Hauptaugenmerk. Im verseuchten Stockholm haben wenige in einem unterirdischen Lager überlebt. Expeditionen  geben den Lesern Gedankenfreiheit.

Simon Stålenhag:
 „Das Labyrinth“
 Übersetzt von Stefan Pluschkat.
Fischer Tor.
152 Seiten. 37,95 Euro

KURIER-Wertung: ****

 

Die Hoffnungslosigkeit wird verschoben

Gedanken. Es geht nicht allein um die Hoffnung, die – wie es  heißt –  vom Trotzdem lebt. Hoffnungslosigkeit, schreibt Renate Welsh, können wir uns wieder leisten, wenn die Lage nicht mehr so verzweifelt ist ... Literatur kann nichts – Literatur kann alles: Auch darüber macht  sich die Wienerin („Das Vamperl“, „Die alte Johanna“) Gedanken. Sie redet mit uns. Wir hören zu. Das erfüllt.

Renate Welsh:
 „Hoffnung lebt vom Trotzdem“
 Czernin Verlag.
48 Seiten.
15 Euro
KURIER-Wertung: *** und ein halber Stern

 

Ultrabrutales von Keanu Reeves

Comic. Filmschauspieler Keanu Reeves („Matrix“) als Comic-Autor, Zeichner ist Ron Garney („Spider-Man“). Die Amerikaner schicken einen Menschengott in Kämpfe, die sie nur dank ihm gewinnen. Er stirbt nicht, so sehr er zerschossen und zerfetzt wird. Gern würde er wissen, warum er ist, wie er ist. Wer solch eine ultrabrutalen Comic-Serie will, würde man selbst gern wissen.

Keanu Reeves und Matt Kindt (Text) und Ron Garney
(Illustration
): „Brzrkr“
Übersetzt von Stephanie Pannen. Cross Cult. 144 Seiten. 16,50 Euro

KURIER-Wertung: ** und ein halber Stern

 

Dreimal noch, dann kommt Trump

Serie. Nur noch diese Trilogie wird es von  Winslow geben, „City on Fire“ ist  Teil eins. Danach will der New Yorker  Trumps Comeback verhindern. „Die Tage der Toten“ war 2010 Don Winslows Meisterwerk. Und jetzt? Bandenfreundschaft, Bandenkrieg. Kurze Sätze, manchmal erfreut ein Satz länger: Jemand sieht aus wie ein alter Mantel, der im Regen auf dem Boden liegt.

Don Winslow:
 „City on Fire“
 Übersetzt von Conny Lösch.
Verlag HarperCollins.
400 Seiten. 22,95 Euro

KURIER-Wertung: *** und ein halber Stern

 

... und wieder 19 Bücher, ganz kurz

Kommentare