... und wieder 18 Bücher, ganz kurz
Die Teufel ins Gesicht gezeichnet
Man kann das Buch verweigern, weil es Dostojewskis gut 700 Seiten Text gekürzt und in Sprechblasen gezwängt hat. Aber man kann der Version des französischen Malers Loukia nicht nachsagen, dass er an der Oberfläche picken bleibt. Loukia zeigt das St. Petersburg der armen Teufel, und in die Gesichter der Menschen hat er alle möglichen Teufel gezeichnet.
Bastien Loukia (nach Fjodor
Dostojewski): „Verbrechen
und Strafe“ Übersetzt von Ingrid Ickler. Knesebeck Verlag.
106 Seiten. 25,70 Euro
KURIER-Wertung: **** und ein halber Stern
Die Zeichnung oben ist diesem Buch entnommen (Ausschnitt).
Er saß viel vor dem Fernsehapparat
Gespräche mit dem wohl nur irrtümlich nicht mit dem Literatur-Nobelpreis ausgezeichnete Cohen ( 2016). An allen Lebensstationen wird Halt gemacht, aber auch vor dem TV-Apparat: „Fernsehen ist Nahrung für mich.“ Und überhaupt: „Ich weiß genau, dass ich meist falsch singe, aber trotzdem als Sänger weitermache, das macht mir große Freude.“
Cornelia Künne und
Daniel Kampa (Herausgeber):
„So long“
Kampa Verlag.
192 Seiten. 22,60 Euro
KURIER-Wertung: ****
Viele Bücher, große Seelen
Es gibt leider kein Buch, in dem die Besitzer zeigen, wie sie ihre Bibliothek sauber halten, wie oft sie abstauben, klopfen. Aber viele Bücher gibt es über scheinbar keimfreies Leben mit Büchern. Das sieht immer toll aus. „Biblio-Stil“ ist besonders schön fotografiert. Sammler wurden besucht, Arrangeure, „Narren“. Ihre Seelen sind groß, denn: "Ein Raum ohne Bücher ist ein Körper ohne Seele“ (Cicero).
Nina Freudenberger mit Sadie Stein und
Shade Degges (Fotos):
„Biblio-Stil“ Prestel Verlag.
272 Seiten. 37,10 Euro
KURIER-Wertung: ****
Hurrikan Leo kann's nicht gewesen sein
Der zweite Grisham heuer, diesmal ohne Justiz. Nach Hurrikan Leos Wüten liegt ein bekannter Autor erschlagen im Garten seines Hauses in Florida. Erschlagen von einem Ast? Das Manuskript, an dem er zuletzt arbeitete, ist weg. Der Roman wirkt eher protokolliert als erzählt. Persönlicher Lieblingssatz: „Ich finde, es gibt nichts Langweiligeres als einen nüchternen Schriftsteller.“
John Grisham:
„Das Manuskript“
Übersetzt von Bea Reiter.
Heyne Verlag.
368 Seiten. 22,70 Euro
KURIER-Wertung: *** und ein halber Stern
Suche nach der Brüderlichkeit
Der niederländische Journalist Geert Mak wagt den Blick ins noch junge 21. Jahrhundert. Er reist, wie schon früher einmal im 20. Jahrhundert, durch Europa, taumelnd diesmal im Dunkeln – vieles ist fremd: Wieso sind Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit ferner als noch vor kurzem? Eine aus vielen kleinen Geschichten in Lampedusa, Moskau, Katalonien ... geformte europäische Übersicht.
Geert Mak:
„Große Erwartungen“
Übersetzt von Andreas Ecke.
Siedler Verlag.
640 Seiten. 39,10 Euro
KURIER-Wertung: **** und ein halber Stern
Gespensterkino Berlin, 1936
Schon der achte Krimi aus dem untergehenden Berlin. Als „Babylon Berlin“ läuft die dritte Staffel im TV. Aber der Text allein ist bereits Gespensterkino. Dank Olympischer Spiele 1936 und eines vergifteten Mitglieds der US-Delegation sowieso. Immer mehr tragen Hitlerbärtchen. Oberkommissar Rath tut sich immer schwerer mit dem Durchschummeln; er grüßt nuschelnd „Hei’tler“.
Volker Kutscher:
„Olympia“
Piper Verlag.
544 Seiten.
24,70 Euro
KURIER-Wertung: ****
Die Pension muss geübt werden
Wenn man zum ersten Mal in Pension geht, ... es bedarf jedenfalls Übung. Leopold Stieger beschäftigt sich seit gut zehn Jahren mit diesem Übergang. Er hilft bei der Entscheidung: sich erholen oder durchstarten? Auf senior4success.at ist er im Internet, sein Büchlein ist in der vierten Auflage. Stieger mag das Wort Ruhestand gar nicht: Es gibt keinen Grund für ein Anhalten.
Leopold Stieger:
„Pension – Lust oder Frust?“
Zeichnungen von Kristian Philipp.
New Academia Publishing..
82 Seiten. 9,90 Euro
KURIER-Wertung: *** und ein halber Stern
Großfeldsiedlung statt Strudlhof
Heimito von Doderer wird wiedergeboren. Wo ist die Strudlhofstiege? In der Großfeldsiedlung wird er wiedergeboren, 1976, und im Körper des Mädchens Marie. Eine mehr als hübsche Idee – noch dazu ist er der Erzähler bzw. in seinem Stil schreibt die Wienerin Nadja Bucher. Doderer will nicht mit Stoffhaserl spielen, sondern einen Roman schreiben. Das ist enes der persönlichen Lieblingsbücher der vergangenen Monate.
Nadja Bucher:
„Die Doderer-Gasse oder
Heimitos Menschwerdung“
Milena Verlag.
280 Seiten. 23 Euro
KURIER-Wertung: ****
So etwas Gesundes will man trinken
Sind denn nicht alle Weine „natürlich“? Hahaha. Die Menge der im Weinbau eingesetzten Pestizide ist in den vergangenen Jahren ums 26-Fache gestiegen. Hier lernt man Naturweine kennen.
160 werden vorgestellt. So etwas Gesundes will man sofort trinken! Österreich ist z. B. mit dem Südsteirer Roland Tauss vertreten, gelobt wird sein Sauvignon Blanc „Honig“ (ohne Sulfit).
Isabelle Legeron:
„Naturwein“ Übersetzt von
Claudia Theis-Passaro.
AT Verlag.
224 Seiten. 29 Euro
KURIER-Wertung: ****
Mit 17 Laternen begann es
Es war in der Dorotheergasse, dass es erstmals öffentliche Beleuchtung in Wien gab; 17 Laternen waren es, Wachs und Olivenöl, im
Jahr 1687. Heute werden 244.000 Lampen eingeschaltet, und 286 Objekte werden nachts angestrahlt. Fotograf Mandl porträtiert die Stadt bei Nacht, leer auch wegen Corona – und es ist eine wunderschöne, eine geradezu feierliche Stadt.
Reinhard Mandl:
„Wien bei Nacht“
Elsengold Verlag.
144 Seiten.
30 Euro
KURIER-Wertung: *** und ein halber Stern
Ein Maskenball, ohne Verdi
Der Grazer Autor Ludwig Fladerer ist Philologe. Er erforscht u. a. das 18. Jahrhundert, und da ist er in seinem ersten Roman „Unter Masken“ gegangen: Mit dem schwedischen König Gustav III., der auf einem Maskenball ermordet wurde. (Bei Verdi wird dazu gesungen.) Ludwig Fladerer kennt die alten Gerichtsakten, sein Buch ist mehr als bloße Unterhaltung.
Ludwig Fladerer:
„Unter Masken“
Seifert Verlag.
393 Seiten.
26 Euro
KURIER-Wertung: *** und ein halber Stern
4000 Jahre, die alle prägten
Er kennt sich bei den Lubawitscher Chassidim genauso aus wie in der Philosophie Hermann Cohens, wonach Gott reines Sein ist: Der Oxforder Uniprofessor Goodman hat über das Judentum – Glaube, Kult, Gesellschaft – umfassend geschrieben; und sehr wissenschaftlich. Aber dass diese Weltreligion das geistig-spirituelle Erbe der Menschheit prägte, versteht jeder.
Martin Goodman:
„Die Geschichte des Judentums“
Übersetzt von Susanne Held.
Verlag Klett-Cotta.
784 Seiten. 39,10 Euro
KURIER-Wertung: ****
Routiniert geht das Leben vorüber
Wie kann man in nur 100 Seiten derart versinken? Es ist ja bloß ein altmodischer Mann, über den man liest. Ein Gewohnheitstier. Ein Kulturmensch, der in der Badewanne Monteverdi hört. Verheiratet, zum zweiten Mal, aber Einsamkeit brauchend. Routiniert geht das Leben vorüber. Ist es ein schlechtes Leben? Es gibt kaum eine Frage, mit der sich länger abtauchen lässt.
Gabriel Josipovici:
„Wohin gehst du, mein Leben?“
Übersetzt von Jochen Jung.
Jung und Jung Verlag.
160 Seiten. 18 Euro
KURIER-Wertung: **** und ein halber Stern
Eine Irrfahrt aus Sehnsucht
Das ist die Geschichte einer 76-jährigen Kanadierin, die plötzlich ihr Haus und die kranke Tochter allein lässt und mit der Eisenbahn durchs Land irrt. Es ist die Geschichte einer Sehnsucht. Von kanadischen Zügen wird man lesen, in denen Kinder aus den Wäldern bis 1967 in Rechnen und Schreiben unterrichtet wurden. Sauciers Romane haben Zauberkraft.
Jocelyne Saucier:
„Was dir bleibt“
Übersetzt von Sonja Finck und Frank Weigand Insel Verlag.
253 Seiten. 22,90 Euro
KURIER-Wertung: ****
Die Hauptrolle spielt man daheim
Daniel Glattauers Theaterstück für die Wiener Kammerspiele – , das kann man lesen und spielen, mit sich selbst in der Hauptrolle: Man hat Geld, man will abheben, es geht nicht, man schreit den Automaten an: „Du kannst es! Mach es!“ Es geht nicht, sagt der Bankdirektor, das Geld ist auf Geschäftsreise. So ganz allein mit der Komödie fühlt man sich herrlich unwohl.
Daniel Glattauer:
„Die Liebe Geld“
Zsolnay Verlag.
112 Seiten.
18,50 Euro
KURIER-Wertung: ****
Kein Platz bei Thomas Bernhard
Als Roman funktioniert „In zwangloser Gesellschaft“ nicht so gut. Aber als Beschreibung der Besuche auf Friedhöfen, wo Schriftsteller begraben sind. Die meisten vergessen, verschwunden – außer Thomas Bernhard, zu dessen Grab sich der Autor nicht stellen konnte, weil dort zwei weinende Frauen saßen. Gemma weiter nach Heiligenstadt zu Ödön von Horvath.
Leonhard Hieronymi:
„In zwangloser Gesellschaft“
Hoffmann und Campe Verlag.
240 Seiten.
24,70 Euro
KURIER-Wertung: *** und ein halber Stern
"Sound of Silence" aus dem Bad
Jedes der 500 Lieder hat eine Geschichte. „The Sound of Silence“ spielt in Paul Simons Bad, „Always Look on the Bright Side of Life“ auf Beerdigungen ... Der irische Musikjournalist Colm Boyd bündelt „Klassiker“ in Kapiteln wie: Songs über den Krieg, über Geschlechtsidentität, kürzer als zwei Minuten, länger als sieben usw. Dazu Codes zum Hören auf Spotify. Weihnachtsgeschenk?
Colm Boyd:
„Book of Songs“
Illustriert von Patricia Ghijsens-
Ezcurdiua. Prestel Verlag.
272 Seiten. 22,70 Euro
KURIER-Wertung: *** und ein halber Stern
Sie will sich nicht retten lassen
Eine 72-Jährige überlebt als Einzige einen Flugzeugabsturz. Mit ein paar Karamellzuckerln schlägt sie sich durch die Wildnis Nordamerikas, denkt an ihr falsches Leben und verschmilzt mit der Natur. Von der depressiven Rangerin, die die Rettungsmannschaft anführt, will sie sich nicht finden lassen. Zwei Frauen, zumindest eine Frau interessiert. Welche? Genau, die Rangerin ist es nicht.
Rye Curtis:
„Cloris“
Übersetzt von Cornelius Hartz.
Verlag C.H.Beck.
352 Seiten. 24,90 Euro
KURIER-Wertung: ****
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