... und noch einmal 13 Bücher, ganz kurz

... und noch einmal 13 Bücher, ganz kurz
Diesmal mit "Himmel und Hölle", mit Edgar Allan Poe, einer russischen Juweliersfamilie und einer Atlantiküberquerung mit Richard Strauss

Horror zum Dekorieren

Weihnachten. Noch sieht man (zu?) wenig Weihnachsdeko an Fenster, Türen, Gärten. Dafür ist im Fotobuch "Oh Tannengrauen" so viel, dass man garantiert nicht in Stimmung kommt. Die 100 Bilder sind zum Irritieren, nicht zum Inspirieren. Beispiel: das Foto oben. Eine deutsche Horrorshow mit Objekten aus chinesischen Onlinegeschäften. Besonders kreativ und auch nach dem Heiligen Abend noch passend: die Skulptur eines Flamingos mit Kappe und Schal.

Hinnerk Theisen und Alex Ziegler:

"Oh Tannengrauen" DuMont Verlag.

128 Seiten. 12,40 Euro

KURIER-Wertung: *** und ein halber Stern

 

Der Irrtum, ein "Besserer" zu sein

Entdeckung. Linden Hills ist eine Siedlung für Afroamerikaner, die „es“ geschafft haben und sich jetzt besser - die sich jetzt weiß fühlen. Dort versuchen zwei Junge, etwas Geld zu verdienen und reinigen die Pools und schaufeln Schnee. Sie gehen durch Höllenkreise, ähnlich wie bei Dante. Gier, Neid, Betrug und zuletzt Luzifer. Unglaublich, dass dieser großartige Roman aus 1985 von Gloria Naylor erst jetzt übersetzt wurde.

Gloria Naylor:
„Linden Hills“
 Übersetzt von Angelika Kaps.
Unionsverlag.
400 Seiten. 27,50 Euro

KURIER-Wertung: **** und ein halber Stern

 

Früher war es ein dummes Abenteuer

Poe. So oder so ist die Literatur. Poes einziger Roman  – ein Abenteuer mit Meuterei und Insel – wurde seinerzeit als  „schlecht geschrieben“ und „dumm“ kritisiert ... und später, auch übertrieben, als einer der besten Romane aller Zeiten gewürdigt.  Poe schwankte, ob er mit Kannibalismus  schrecken oder von einer Reise erzählen sollte, auf der zu viele Haselnüsse im Bauch rumorten.

Edgar Allan Poe:
„Arthur Gordon Pyms Abenteuer“
 Neu übersetzt von Andreas Nohl.
dtv.
256 Seiten.  33,50 Euro

KURIER-Wertung: ****

 

Mörderisches Spiel "Himmel und Hölle"

Thriller. Eine Studentin wurde nach einer Party erstochen. der Mörder blieb unbekannt. 16 Jahre später findet ihre Mutter ein Himmel und Hölle-Spiel mit Köpfen, die ihre Tochter aufs gefaltete Papier  gezeichnet hat. Wer ist der Kerl  in der Mitte, in der Hölle? Es ist der Erzähler im Roman des Vorarlbergers André Pilz. Er war verliebt in die Kollegin ... Sie war verliebt in den Kollegen. Endlich kein Durchschnittsthriller.

André Pilz:
„Morden und lügen“
Suhrkamp Verlag.
304 Seiten.
16,50 Euro

KURIER-Wertung: ****

 

Einsamkeit in der Mathematik

Mengenlehre. Der geheimnisvollste Roman des Jahres, da kommt heuer selbst Cormac McCarthy mit „Der Passagier“ nicht mit. Es geht ums „Entlieben“ – vom Freund, von der Mutter. Die mexikanische Künstlerin Bicecci lässt langsam die Sprache zerfallen und illustriert Verlust und Einsamkeit im Buch immer häufiger durch Grafiken aus der Mengenlehre. Eine Herausforderung (wohl auch für die Übersetzerin Birgit Weilguny aus Wien).

Verónica Gerber Bicecci:
„Leere Menge“
Übersetzt von Birgit Weilguny.
Maro Verlag.
240 Seiten. 25,50 Euro

KURIER-Wertung: *** und ein halber Stern

 

Vom Zaren zum Bürgermeister

Familie. Weniger  Roman als (exzellente) journalistische Aufarbeitung der  Familiengeschichte, ausgehend heute im Stockholmer Juweliergeschäft Bolin: Einst waren die Bolins Hofjuweliere des Zaren, ihre (unsere)  Reise durch die Jahrzehnte geht nach Wien zum Onkel Karl (Seitz, Wiener Bürgermeister), nach Bad Sauerbrunn, Schweden. Viel abenteuerlicher geht Leben nicht.

Gunnar Bolin:
„Die Kinder des Hofjuweliers“
Übersetzt von Jürgen Vater.
Czernin Verlag.
368 Seiten. 29 Euro

KURIER-Wertung: ****

 

Die Vergangenheit bleibt schwedend

Nach dem Krieg. Es wird immer lauter um diesen leisen Schriftsteller. Immer euphorischer werden die Kritiken über seine Zeitporträts. Ohne Hast erzählt Ralf Rothmann vom Alltag in  Nachkriegstagen (mit Anklängen an die eigenen Eltern). Scheinbar ziellos – aber das Ziel ist: Wie vergangen  die Zeit im Krieg auch ist, sie ist schwebende Gegenwart. Erlebtes setzt sich über Generationen fort.

Ralf Rothmann:
„Die Nacht unterm Schnee“
Suhrkamp Verlag.
304 Seiten.
25,50 Euro

KURIER-Wertung: **** und ein halber Stern

 

Aber die Schalen braucht niemand

Künstlichkeit. Das Problem liegt in Sätzen wie: „Der Morgen warf die Schalen seiner Geburt ab.“  Es würde reichen, dass es noch zeitig in der Früh war ... Der so aktuelle Roman lenkt leider ständig davon ab, dass es um Fakten und Fakes geht, um Kunst und Künstlichkeit. Das Leben eines langweiligen Filmvorführers wird neu geschrieben, sodass es „cool“ wird und die Medien darauf abfahren.

Baret Magarian:
„Die Erfindung der Wirklichkeit“
Übersetzt von Cathrine Hornung.
Folio Verlag.
480 Seiten. 29 Euro

KURIER-Wertung: *** und ein halber Stern

 

Wanderungen, und zwar überall

Reisen. Karin Ivancsics ist ein Zugvogel, egal, ob es sie auf die bunte Insel Curaçao zieht oder zum öden Praterstern in Wien verschlägt. Wir sind alle Zugvögel, aber nicht alle können mit so viel Herz (und sehr bestimmt) über Heimat und Migration schreiben wie die Burgenländerin,  deren Großmutter nach Amerika auswanderte ... Erzählungen für ein Miteinander.

Karin Ivancsics:
„Zugvögel sind wir“
 Lex Liszt 12.
120 Seiten.
19,80 Euro

KURIER-Wertung: *** und ein halber Stern

 

Briefe aus Venedigs Waisenhaus

Vivaldi.  Peter Schneiders „Vivaldi und seine Töchter“ hat den Vorteil, dass Venedig um 1700 eine  Hauptrolle hat. Die Stadt ist Tiziano Scarpa egal, eine Geigenspielerin aus jenem Waisenhaus, für das Vivaldi seine Konzerte komponierte, schreibt Briefe an ihre unbekannte Mutter und streitet mit dem Tod; Scarpa hat 200 Platten mit Vivaldis Musik, die der reinen Idee vielleicht nahe kommt.

Tiziano Scarpa:
„Stabat mater“
Übersetzt von Olaf Matthias Roth. Wagenbach Verlag.
144 Seiten. 23,50 Euro

KURIER-Wertung: *** und ein halber Stern

 

Im Stillen wird etwas zerrissen

Klassiker. Sie lernte von Tschechow, der damals noch ein Geheimtipp war, und Ingeborg Bachmann hat ein gutes Vierteljahrhundert später wohl auch einige der insgesamt 73 Kurzgeschichten der Neuseeländerin Katherine Mansfields ( 1923) studiert. Die Menschen sind isoliert, die Dramen finden bei ihnen „innen“ statt, „draußen“ bekommt oft niemand mit, dass etwas bebt und zerreißt.

Katherine Mansfield:
 „Die Gartenparty“
 Übersetzt von Irma Wehrli. Nachwort von Julia Schoch. Manesse Verlag. 544 Seiten. 27,50 Euro

KURIER-Wertung: **** und ein halber Stern

 

Teigfladen zum Entschleunigen

Kochen. Pizza. Focaccia,  Piadina – und jetzt komt die Pinsa: Fladen, die uns dazu bringen wollen, langsamer zu werden. Denn man braucht Sauerteig und Hefe und eine Mehlmischung (mit Sojamehl), und der Teig muss mindestens für einen Tag in den Kühlschrank. Und den Belag wirft man nicht hurtig drauf, sondern – 80 Rezepte – rührt ein Pesto aus Pilzen, verbindet Apfel mit Fenchel ...

Daniela Taglialegne und Sven
Oliver Neitzel:
   „Pinsa“
 at Verlag.
216 Seiten.
27 Euro

KURIER-Wertung: *** und ein halber Stern

 

Historische Fahrt mit der "Mafalda"

Atlantik. Ein Wunder: Die erste schnelle Reise 1908 auf dem Dampfer Mafalda von Genuanach Buenos Aires in 16 Tagen. Wer liest, ist gemeinsam mit Richard Strauss, Carlos Gardel, Pirandello in der Luxusklasse unterwegs; und steigt hinunter zu den Auswanderern, dritte Klasse. Ein Wunder deshalb, weil eine „richtige“  Atlantiküberquerung kaum mehr Eindrücke hinterlassen kann.

Stefan Ineichen:
„Principessa Mafalda“
Wagenbach Verlag.
256 Seiten.
36 Euro
KURIER-Wertung: **** und ein halber Stern

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