Native-Autor Tommy Orange: "Trump wird Öl wichtiger sein als Indigene"

Native-Autor Tommy Orange: "Trump wird Öl wichtiger sein als Indigene"
Der US-Schriftsteller Tommy Orange über seine Romane „Dort Dort“ und „Verlorene Sterne“, über die Drogen-Klischeefalle und eine neue Welle des Interesses an Ureinwohner-Themen.

Es war ein veritabler Überraschungserfolg, als Tommy Orange 2018 mit seinem Debütroman „Dort Dort“ etwas tat, was bisher noch selten gemacht wurde: Er erzählte von Native Americans der Jetztzeit, die in einer Stadt, nicht in einem Reservat leben. „Das betrifft 80 Prozent aller Natives heute“, erzählt er, „das ergibt eine Menge unerzählter Geschichten." Davon hat er reichlich gehört bei seiner Arbeit in einem Gemeindezentrum in Oakland.  Einige flossen dabei in die vielen Perspektiven von „Dort Dort“, die schließlich in einer Schießerei bei einem Powwow im Sportstadion kulminieren. Orvil Redfeather, der mit einem Tanz in entsprechender Tracht gerade damit begonnen hat, sich an seine Ureinwohner-Identität heranzutasten, wird von den Kugeln getroffen. Am Ende des Romans ist nicht klar, ob der Teenager überleben wird. 

Er überlebt. Das ist die gute Nachricht in Oranges neuem Buch „Verlorene Sterne“, das zu einem Großteil eine Fortsetzung von „Dort Dort“ ist. Die Entstehungsgeschichte des Romans ist selbst für Orange ein wenig mysteriös. „Das Buch war noch nicht einmal erschienen, ich musste vorab 5000 Stück in einem Lager signieren und da lief eine Playlist, die auf Spotify vom Verlag als Marketingaktion zusammengestellt worden war. Mit ,There There‘ von Radiohead als Ausgangssong - und dann kam das Lied „Wandering Star“ von  Portishead. In dem Moment wusste ich, ich mache ein Sequel mit genau diesem Titel.“ 

Gefängnis als Blaupause

Nicht genug der kuriosen Koinzidenzen. Orange hatte schon angefangen, eine konventionelle Fortschreibung zu verfassen, als er beruflich nach Schweden musste. Dort sah er in einem Museum einen Zeitungsausschnitt über Cheyenne und Arapaho 1875 in Florida. Weil das seine Vorfahren sind, wusste er, dass die nie in Florida waren. Sie waren es aber doch: in einem Kriegsgefangenen-„Schloss“ namens Fort Marion. „Dieses Gefängnis war die Blaupause für die berüchtigten Internate“, sagt Orange und meint die Schulen, die jugendlichen Ureinwohnern mit brutalen Methoden ihre Kultur „austreiben“ sollten. Das Gefängnis wurde geleitet von einem frommen Mann namens Richard Henry Pratt, dessen Motto es war: „Töte den Indianer, rette den Menschen“. Pratt galt damit damals übrigens als liberal, denn sonst war die Devise eher „Töte den Indianer und den Menschen“. 

So wie beim grausamen Massaker von Sand Creek, das am Beginn des Romans steht. Orange stellte bei seinen Recherchen nicht nur fest, dass das Gefängnis in Sternform angelegt war, sondern auch, dass es einen Insassen namens Star gegeben hat. Und schließlich fand er einen Häftling mit dem Namen Bear Shield – so lautet der Familienname einer Familie in seinem Roman – dann war endgültig klar, dass es einen historischen Teil über die Ahnen der schon bekannten Figuren geben würde. „Ich fand es faszinierend, wie sich der Titel immer mehr mit Bedeutung auflud, je länger ich recherchiert habe.“

Orvil rutscht durch die ständigen Schmerzen, die die in seinem Rücken verbliebene Pistolenkugel verursacht, in die Medikamentenabhängigkeit - schon seine Mutter hat eine Drogenvergangenheit. Wie schwierig ist es da, sich vom Stereotyp des drogensüchtigen Native American, das sich durch diverse Darstellungen zieht, abzugrenzen? „Es besteht tatsächlich die Gefahr, dass man in die Klischeefalle tappt.  Aber man kann die Thematik ja nicht ignorieren, sie ist existent. Nicht nur bei Indigenen.“  Das weiß Orange nicht zuletzt aus eigener Erfahrung, sowohl er als auch seine Familie hatten mit Alkoholkrankheit und mentalen Problemen zu kämpfen.

TV-Sender wollen keine Natives von heute

Klischees sind auch eine der Hürden, mit denen junge Native Americans bei ihrer Identitätsfindung zu kämpfen haben. In diesem Roman ist es Orvils kleiner Bruder Lony, der eine archaische Verbindung zu seinem Ureinwohner-Sein findet, die seine Familie gar nicht wirklich versteht. „Es ist für Natives in der Stadt viel schwieriger, sich ihrer Kultur anzunähern. In einem Reservat hast du deinen Stamm, dort wird die Sprache gesprochen, du hast ein Gemeindezentrum, wo sich alle treffen. In meiner Community-Arbeit kamen oft Jugendliche, die hatten nicht nur einen Stamm, die hatten vier verschiedene. Das macht es kompliziert. Und es macht es auch nicht einfacher, dass die Populärkultur sich in den vergangenen zehn Jahren nur mit der Geschichte und nicht mit der Gegenwart beschäftigt hat. Die amerikanische Vorstellungskraft  widersetzt sich dem urbanen Ureinwohner.“ Das hat Orange auch selbst verspürt: Zwei Mal schon gab es Interesse, „Dort Dort“ für das Fernsehen zu verfilmen, aber die Sender blockten ab, erzählt er.

Und das, obwohl Orange gerade eine „Native Renaissance“ feststellt, deren letzter Höhepunkt die Oscarnominierung für Lily Gladstone in „Killers of the Flower Moon“ war. Dieser Film habe das Interesse am Köcheln gehalten, das seit 2017 durch diverse Autoren entfacht worden war. „Es gab immer wieder solche Zeitspannen, die hören irgendwann wieder auf und dann will niemand mehr etwas darüber hören. ,Der mit dem Wolf tanzt‘ hat so eine Renaissance ausgelöst, zuletzt die Proteste gegen den Pipeline-Bau im Sioux-Reservat Standing Rock in Dakota 2016. Auch die Bürgerrechtsbewegung und die Besetzung von Alcatraz in den 60er-Jahren haben für nachwirkende Beachtung gesorgt. Jetzt gerade ist eine außerordentlich lange Phase der Aufmerksamkeit für indigene Themen.“  

Zu kleine Wählergruppe

Ob das so bleibt, ist eine durchaus brisante Frage nach der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten. Im Wahlkampf wurden Indigene nicht angesprochen, was Orange so erklärt: „Wir sind eine viel zu kleine Wählergruppe. Die Demokraten haben sich auf die Mitte und die Unentschlossenen konzentriert und ihr ganzes Geld da hineingesteckt. Es ist jetzt zu erwarten, dass geschütztes Land in Frage gestellt wird, immerhin ist Trumps Motto ,Drill, Baby, Drill‘. Es gibt einige solche Gebiete, in denen Ölvorkommen sind. Es steht zu befürchten, dass er die Souveränität der Stämme aushöhlen wird. Aber ich glaube, dass ihm Arbeiten viel weniger zusagt als Verehrt-zu-werden. Ich hoffe, dass er mehr Zeit damit verbringt, sich preisen zu lassen und dabei vergisst, die schrecklichen Sachen zu machen, die er angekündigt hat.“   

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