Thomas Melle und dies und das und Ananas

Thomas Melle und dies und das und Ananas
Der Roman „Das leichte Leben“ ist etwas überladen

Ein leichtes Leben – Thomas Melle (Foto) hat es bestimmt nicht.

Seit seinem Roman „Die Welt im Rücken“ (2016) und der Dramatisierung mit Joachim Meyerhoff im Burgtheater (2017) ist die bipolare Störung kein Geheimnis.

Manisch-depressiv ist Melle. Er hat im Buch nicht dämonisiert und sich nicht als genial hingestellt. Er hat z.B. bloß erzählt, dass er sich einbildete, mit Madonna geschlafen zu haben.

Kein leichtes Leben.

Missverstanden

Im neuen Roman gibt es viel Sex, anfangs sehr direkt und analytisch beschrieben. Melle schmückt nicht – es ist, was es ist, sagt der Geschlechtsverkehr, der im konkreten Fall sicher nicht „das wirkungsvollste Heilmittel“ ist, das die Menschheit kennt.

Hat Jacopo Fo, Sohn des Nobelpreisträgers Dario Fo, im unverzichtbaren Ratgeber „Zen oder die Kunst guten Sex zu haben“ (Hollitzer Verlag) geschrieben.

Thomas Melles Roman zielt auf Übersexualisierung. Das ist nicht zu überlesen, immerhin treibt es jemand vier Mal daheim und danach im Bordell mit drei Frauen ...

Eindrucksvoller, überraschender und nachhaltiger ist folgende Szene:

Ein Bettler im Rollstuhl macht mit den Fingern die typische Bewegung zum Mund, um Geld fürs Essen zu erbitten. Ein Fußgänger denkt dabei sofort an ein sexuelles Angebot.

„Das leichte Leben“:

So war es vom Ehepaar Kathrin und Jan geplant gewesen. Kathrin war für kurze Zeit ein Star als Schriftstellerin, Jan wird langsam ein bekannter Boulevard-TV-Journalist. Sie haben zwei kluge, klügere Kinder im Pubertätsalter.

Keine Sorgen wollten sie haben. Allein der Blick aufs Klo genügt, um zu sehen: Das haben sie geschafft – der Hygienebeutel ist ... von Lacoste.

Lieber Orgie

Aber: Kathrin will den Ehemann nicht mehr, will die Familie nicht mehr. Spüren will sie sich wieder. Ihre Freundin schenkt ihr deshalb ein Sexspielzeug (Satisfyer), Kathrin nimmt lieber an einer Orgie Maskierter teil – „hier, du Welt, mach und nimm!“

Aushilfslehrerin ist sie jetzt, der Neue in der Klasse, der in einem Videospiel von Level zu Level zu leben glaubt, gefällt ihr sehr.

Ist der Ehemann nicht mehr erwünscht, so hat Jan eine Assistentin und Prostituierte in der Nähe. Spät kommt ihm – das ist lustig – alles so sexualisiert vor, dass nichts mehr übrig bleibt.

Außerdem thematisiert Thomas Melle sexuellen Missbrauch im Internat, der 30 Jahre zurückliegt. Aufdecken oder vertuschen?

Und aktuell werden heimlich gefilmte Masturbationsfilmchen zur Bloßstellung im Internet platziert.

Gleich muss sich etwas entladen. So ist es. Und der Roman, den man zunächst bloß für etwas überladen hielt, wird am Ende überdramatisiert.

Es sind die Dialoge, die lebendig halten. Weniger der Sex. Von den „besseren“ Alten hört man: „Mundet dir der Orangensaft?“

Von Jugendlichen hört man als Antwort:

„dies das Ananas“.

Es sind die Jungen, denen die Sympathie gehört. Dem Thomas Melle sowieso.

 

Thomas Melle: „Das leichte Leben“
Verlag
Kiepenheuer
& Witsch.
352 Seiten.
25,50 Euro

KURIER-Wertung: ****

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