Sibylle Bergs Zukunft: Diesmal klappt es, die Welt zu retten

Sibylle Bergs Zukunft: Diesmal klappt es, die Welt zu retten
Sie setzt ihre boshafte Vision mit viel Computersprache fort. "RCE" heißt der neue Roman, der an "GRM" anschließt

Der nächste Ziegel von Sibylle Berg, 700 Seiten. Man muss ihn nicht werfen, er trifft auch so.

Er trifft wie der vorangegangene Roman „GRM. Brainfuck“ (2019). Schon damals erzählte die Deutsche, die in Zürich lebt, von einer Zukunft, in der es ein Grundeinkommen nur bei totaler Kontrolle mittels eingepflanztem Chip gibt. Wenige sind unfassbar reich, sehr viele werden immer ärmer.

Boshaft, locker und experimentierfreudig geht es jetzt in „RCE“ weiter.

GRM war Slang für Grime, und Grime ist ein Musikstil, eine britische Rap-Variante. In „RCE“ hat sich der Sound geändert, er ist nicht mehr rotzig, es würde nicht passen, denn die Leute sind sich egal geworden.

Sie haben gelernt, dass es trotzdem – allein schon wegen der Kontrolle – besser ist, in der Früh aufzustehen und zu lügen: „Ich bin zufrieden.“

Es herrschen multinationale Konzerne mit multinationalen Managern und multinationalen Aktionären, Dicke fallen aus der Krankenversicherung. Einmal hatte einer Zahnweh und konnte sich den Arzt nicht leisten: Mit der Bohrmaschine hat er versucht, den Zahn ruhigzustellen. Der ganze Mensch ging daran zugrunde.

Höhere Gewinne

„RCE“ bedeutet Remote Code Execution, so können Hacker in Computersysteme eindringen und sie komplett übernehmen. In Sibylle Bergs Dystopie haben viele – sogar Wirtschaftsanwälte – ihren Job verloren, denn alles wird digitalisiert, Algorithmen bringen höheren Gewinn.

Dementsprechend gibt es Computerdeutsch. Hinten im Buch werden Wörter erklärt, allerdings könnte es nach einem Viertel Roman geschehen, dass Lesen als zu anstrengend empfunden wird.

Alles zielt darauf ab, ob es fünf junge Leute schaffen, die Welt zu retten. Bei den Banken setzen sie an. Der Neubeginn wird gelingen. Keine Milliardäre mehr und gleiche Chancen für alle. Und? Der Roman ist zu Ende.

Ein früherer Versuch scheiterte: Man hatte Aufnahmen der Überwachungskameras mit dazugehörigen Infos über jeden Bürger auf die Werbebildschirme der Stadt übertragen. Alles wurde öffentlich, das Sexualverhalten, die Kreditwürdigkeit ...

Es gab kein Entsetzen Wissen wollten die Leut’, ob man sich die Übertragung auch daheim anschauen kann.

Sibylle Berg:
„RCE“
Kiepenheuer
& Witsch Verlag.
704 Seiten.
26,95 Euro

KURIER-Wertung: *** und ein halber Stern

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