Schriftsteller Jonthan Lethem packt das Backgammonbrett aus
Der Amerikaner Walter Tevis (1928 – 1984) hat mit „Das Damengambit“ bewiesen, dass man Schach realitätsnah zeigen und mit d2 auf d4 bzw. c2 auf c4 durchaus Spannung erzeugen kann.
Sein Landsmann Jonathan Lethem unternahm 2016 den – erst jetzt übersetzten – Versuch, Backgammon in die Literatur zu bringen, und am Anfang, wenn ein ungedeckter Stein einsam auf einer Zunge liegt (wie die Leute vom Fach sagen) gelingt das.
Aber das reicht ihm nicht. Lethem ist Lethem, berühmt seit „Motherless Brooklyn“, verfilmt mit Bruce Willis und Alec Baldwin.
Immer will er mehr – und schlängelt sich durch seine Geschichten, um Klarheiten mit großem Können ... zu vermeiden.
Über Zwiebel in den Fleischlaberln wird geredet und über Jimi Hendrix. Über eine Extraportion Zwiebel und über Anarchismus ...
Inoperabel
Und was das Seltsame ist: Das schafft eine verzweifelte, in dieser Konzentration bislang unbekannte Atmosphäre rund um einen Profi-Backgammonspieler, der (zunächst) aussieht wie Roger Moore und um die Welt reist, damit die Reichen Geld verlieren.
In Berlin scheitert Alexander Bruno. Seit Tagen sieht er einen schwarzen Fleck, der ihn vom Spielbrett ablenkt. Starkes Nasenbluten bekommt er auch noch dazu – im Spital wird ein Tumor hinter den Augen diagnostiziert.
Eigentlich nicht operabel. Aber in San Francisco lebt ein Neurochirurg, der Brunos Gesicht aufschneidet und das Gewächs auskratzt.
Kostet viel, da muss man Schulden in Kauf nehmen, eine Unfreiheit. Die Nähte sehen nach Frankensteins Monster aus, Masken werden gewechselt, und was fortan in „Anatomie eines Spielers“ geschieht – u.a. mit der zartesten Domina der Literaturgeschichte –, ist ähnlich faszinierend ärgerlich wie in Jonathan Lethems Roman „Der wilde Detektiv“ (2019):
Da hat der einsame Held während seiner Ermittlungen plötzlich von „alluvialen Fächern im Berg“ zu referieren begonnen, als wäre er lieber Geologe geworden.
Persönlicher Lieblingssatz im aktuellen Buch:
„In seiner krassen Kindheit und Jugend hatte Alexander Bruno geglaubt, das Leben hätte eine Oberseite und eine Unterseite.“
Jonathan Lethem:
„Anatomie eines Spielers“
Übersetzt von
Ulrich
Blumenbach.
Tropen Verlag.
432 Seiten.
25,95 Euro
KURIER-Wertung: ****
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