Poetry-Slammerin Mieze Medusa: Salman Rushdie machte sie demütig

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Bahnfahren mit englischen Fußballfans: Unterwegs mit der Autorin und Poetry-Slammerin Mieze Medusa.

Das Spiel Nottingham Forest gegen Sturm Graz macht sich im Railjet von Wien nach Graz bemerkbar. Der Zug ist voll mit englischen Fußballfans und ihren Bierdosen. Könnte interessant werden.

Der KURIER begleitet Mieze Medusa ins Literaturhaus Graz, wo sie aus ihrem neuen Roman lesen wird. „Hätte ich es vorher gewusst, hätte ich es genauso gemacht“ lautet der instagramtaugliche Titel. Ein Roman über Melanie, die alles anders als ihre Mutter machen wollte und dann doch in ähnliche Fallen getappt ist. Zu viel Arbeit, zu wenig Leben. Über Melanies Freundinnen, die immer zu ihr halten, ihre Teenie-Tochter, die viel zu weit weg ist, und Melanies miesen Ex, der hauptberuflich mit Steuervermeidung beschäftigt ist.

Ein kritisches Wien-Liebe-Buch über toughe, ein bisschen vom Schicksal gestreifte Frauen. Unterhaltsam, leichtfüßig und doch handfest politisch und feministisch. Ein Buch, das man der besten Freundin und gerne auch deren Mann schenken möchte.

Viel recherchiert hat sie dafür, der Roman ist ganz und gar nicht autobiografisch, wird Mieze Medusa später erzählen. Und man wird staunen. Wie treffend sie Melanies bockige Teenie-Tochter und deren affige Insta-Posen beschreibt und die ungeachtet dessen riesige Mutterliebe, das klingt doch alles sehr selbst erlebt. Ist es nicht. Mieze Medusa weiß einfach, wie man so was erfindet (oder bei Freundinnen beobachtet) und schreibt, sie gibt nämlich Kurse dazu. Vom Bücherschreiben allein kann man schließlich nicht leben, wenn man nicht Sebastian Fitzek heißt. Sondern Doris.

Die Rapperin

Mieze Medusa ist als Doris Mitterbacher in Oberösterreich geboren, in Gallneukirchen aufgewachsen und lebt seit dreißig Jahren in Wien. Sie steht als Rapperin und Spoken­Word-Performerin auf allen möglichen Bühnen, auf denen der Name „Doris Mitterbacher“ nicht so gut klänge. Mieze hingegen, das hört sich so ähnlich an wie das Kürzel MC, „Master of Ceremonies“, Zeremonienmeister, wie man zu so einem Sprechgesangskünstler auch sagt. Als Gegenpol zur flauschigen Mieze hat sich dann die harsche Medusa förmlich aufgedrängt. Passt gut zu ihrem Schreiben. Wichtige Inhalte, gut verdaulich verpackt. Ihr Debütroman „Freischnorcheln“ ist 2008 erschienen, seitdem hat sie Prosa, aber auch Poetry-Slam­Texte ihres Hip­Hop­Duos „mieze medusa & tenderboy“ veröffentlicht: kritische Texte zu eingängigen Beats. Es geht immer darum, dass man etwas zu erzählen hat. Unlängst ist Mieze aka Doris fünfzig geworden. Wie ist die Stimmung? „Es ist gegangen.“ Dass das Künstler-Leben, insbesondere als ausdrückliche Feministin, nicht immer einfach würde, war von Anfang an klar. Sie weiß, „was über Frauen geredet wird“, so der Titel ihres vorletzten Romans. Geldmangel, unbezahlte Arbeit sind immer Thema gewesen. Im Song „Rappertante“ heißt es: „Wer sagt: Kann ich den Fahrschein sehn? Du sprintest dann trotz Jahreskarte weg wie früher.“

Heute sprintet sie nicht mehr weg, wenn der Fahrkartenkontrolleur kommt. Sie hat sogar eine Vorteilscard. (Es steht Doris drauf.)

Wir reden über das Lesen, das Schreiben, die Deutschlehrerin, die die kleine Doris begeisterte. Über Teenie-Doris, die Brigitte Schwaiger, Barbara Frischmuth, Jane Austen las.

Die Lesung im Literaturhaus: nicht ausverkauft, aber gut besucht. In der ersten Reihe zwei Frauen, die wirken, als wären sie aus dem Roman. Tough, ein bisserl vom Schicksal gestreift, aber trotzdem lachend.

Einmal war Mieze Medusa in New York und traf dort in einer Buchhandlung Salman Rushdie. „Er hat vor gerade einmal einer Handvoll Leute gelesen. So etwas macht demütig.“

In aller Demut: Bei ihrem Auftritt am nächsten Tag in der Grazer Buchhandlung „Melange“ sind mehr Leute als damals in New York bei Rushdie. Dass die englischen Fußballfans in Graz dann doch noch Krawall gemacht haben, wird uns entgangen sein. Barbara Beer

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Mieze Medusa:
„Hätte ich es vorher gewusst, hätte ich es genauso gemacht“
Residenz.
315 Seiten.
26,95 Euro