Der neue Pynchon: Mafia, Nazis und radioaktiver Käse
„Wenn Ärger in die Stadt kommt, nimmt er meist die North-Shore-Linie.“ Hätte dieser Roman eine Stimme, klänge er wie Humphrey Bogart. Besser: Wie die Stimme eines Humphrey Bogart-Imitators. „Schattennummer“, der neue Roman des notorisch öffentlichkeitsscheuen US-Autors Thomas Pynchon, liest sich zunächst wie eine fantastische Persiflage auf Krimi-Klassiker à la Dashiell Hammett. Die Provinzstadt Milwaukee in den 1930er-Jahren. Prohibition, Arbeitslosigkeit, Mafia. Hier soll der ehemalige Auftragsschläger und nunmehrige Privatdetektiv Hicks McTaggart („ein kleiner Gauner mit Schnüffler-Lizenz“) die Tochter des Multimillionärs Bruno Airmont wiederfinden. Airmont ist in der Milchindustrie bekannt als „Al Capone des Käses“. Dass seine Tochter mit einem jüdischen Klarinettisten durchgebrannt ist, passt ihm gar nicht ins Konzept.
Ab hier wird’s sehr kompliziert. Ein österreichisch-ungarisches U-Boot kommt ins Spiel und Hicks macht sich auf die Reise nach Europa. Spätestens jetzt sollte man logisches Denken hintanstellen, denn vom Ozeandampfer kommt Hicks so gut wie direkt ins nicht gerade am Meer gelegene Budapest – wo die Käseerbin nicht ist, dafür aber jede Menge Nazis. In Pynchons neuntem Roman wird viel geblödelt. In jedem Satz stecken unglaubliche Einfälle, die Sprache ist dicht und erfordert Konzentration (an diese Stelle: Gratulation an die Übersetzer, die Arbeit muss schweißtreibend gewesen sein). Änwalte namens „Godwin Zipf“ kommen vor, außerdem Vampire: Hicks’ Freundin steht auf Bela Lugosi und ordert per Nachnahme im Dunkeln leuchtende Vampirzähne; man tanzt Lindy-Hop und der Milchprodukt-Al-Capone macht radioaktiven Käse. Man muss kein Pynchon-Spezialist sein, um zu ahnen, dass sich hinter der hochkomplexen Blödelei ein dunkles Universum verbirgt. Es hilft aber möglicherweise, um sich zu orientieren. Das Eingangszitat des berühmten Dracula-Darstellers Bela Lugosi darf man wörtlich nehmen: „Übernatürlich, vielleicht. Unsinn ... vielleicht nicht.“
Thomas Pynchon:
„Schatten-
nummer“
Ü.: Dirk van
Gunsteren,
Nikolaus Stingl
Rowohlt.
400 S. 27,95 €