Oliver Sacks: Letzte Reise zu den „anderen“ Menschen

Vier Jahre nach dem Tod des Neurologen sind bisher unbekannte Fallgeschichten erschienen.

Einmal geht’s noch, ein letztes Mal pralles Leben, aufgeschrieben vom weltberühmten Neurologen Oliver Sacks (Foto oben), der 2015 mit 83 Jahren in New York gestorben ist:

Da war ein Mann, der den Tic hatte, ständig in Bewegung zu sein und die Umgebung zu erkunden, immer und überall. Alles in seiner Nähe betastete er, drehte und wendete es, und wenn er auf der Straße jemanden sah, der sich gerade einen Hamburger in den Mund schieben wollte, war er schnell zur Stelle und biss ab.

Er rührte bestimmt auch in fremden Kaffeeschalen mit dem Finger um.

Da waren Zwillinge, eineiige – wenn die im Kino saßen, riefen sie „Feuer!“, und wenn sie am Strand waren, riefen sie „Haie!“ Nur wenn die beiden Frauen in einem Auto saßen, unterschieden sie sich: Bei jeder Biegung sagte die eine „Rechts!“ und die andere „Links!“

Änderung

Die Reise quer durch Amerika zu Menschen mit verschiedenen Ausprägungen des Tourette-Syndroms ist Teil des Buches „Alles an seinem Platz“. Oliver Sacks’ einstige Mitarbeiter haben teils unveröffentlichte, teils vor Jahrzehnten in US-Zeitschriften abgedruckte Texten gesammelt:

Letzte Gedanken und Fallgeschichten des aus London stammenden Arztes, der so gern erzählt hat, wie einzigartig die Menschen sind und wie ungewöhnlich ... und dass man sich nicht wegdreht, wenn ein Mann seine Ehefrau mit einem Hut verwechselt: Sacks war auch ein guter Lehrer, wie man sich ins „Nichtnormale“ einfühlt, anstatt dumme Urteile zu fällen.

Da war ein Mann, ein Amerikaner, der unter Zwang dauernd „Nigger!“ sagen musste. Mit Empathie wurde ihm beigebracht, gerade rechtzeitig eine Änderung vorzunehmen: „Ni ... ckels and dimes“ (Fünf-Cent-Münzen und Zehn-Cent-Münzen)

Das letzte Buch handelt auch von der ersten Liebe: Farnen, die zwischen 105. und 106. Straße wuchsen und dringend gegossen werden mussten, überhaupt von der Wichtigkeit von Gärten mit vielen Pflanzen für Gesundheit und Gesundwerdung. Und immer ist die Freude des Autors spürbar: Dass er fühlen durfte, dass er denken durfte, dass schon das allein ein wunderbares Privileg und Abenteuer war.

 

 

Oliver Sacks:
„Alles an seinem Platz“
Übersetzt von
Hainer Kober.
Rowohlt Verlag.
288 Seiten.
24,70 Euro.

KURIER-Wertung: ****

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