Österreichischer Buchpreis: Finale mit Tiefkühlkost und Todgeweihten
Schon hat man vergessen, wer mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet wurde (Antje Ravik Strubel) – vom Nobelpreis gar nicht zu reden (Abdulrazak Gurnah) – der Senegalese Mohamed Mbougar Sarr, der den Prix Goncourt und der Südafrikaner Damon Galgut, der den Booker-Preis gewann, werden die Menschen ebenfalls nicht die Buchhandlungen stürmen lassen: Da naht der Österreichische Buchpreis, Montag wird er vergeben. Für Siegerin bzw. Sieger gibt es 20.000 Euro (um 5.000 weniger als beim Deutschen Buchpreis).
Daniela Chana: „Neun seltsame Frauen“ Limbus Verlag, 18 Euro:
Die Überraschung. Kein Gstrein im Finale, kein Franzobel, kein Ransmayr – aber die Wienerin Daniela Chana - Foto oben -, die die Musen, die neun Schutzgöttinnen der Kunst, Erzählungen einkleidet. Aber sehr locker. Zauberhaft. Komödie (Thaleia) trifft Tellerwäscherin mit erster Lippenstifterfahrung, Geschichtsschreibung (Klio) trifft unschuldige Spinnenfrau ...
Letzter Satz: „Morgen ist ja wieder Tanzstunde“, sagte ich zwinkernd.
KURIER-Wertung: ****
Raphaela Edelbauer: „DAVE“ Klett Cotta Verlag, 25,90 Euro:
Was ist der Mensch? Ein Computer, DAVE, wird mit dem Wissen der Welt gefüttert. Zuletzt soll ein Programmierer seine Persönlichkeit hochladen. Auch seinen Körper? Langsam merkt man, dass DAVE kein Gott ist. Ihn zu erschaffen, ist üble Religion. Raphaela Edelbauer aus Wien hat aufgepasst, dass ihr Roman in keine Schublade passt. Technisches über Schaltstellenbündel werden mit Philosophie und Neoliberalismus gemischt. Das hat einen bisher unbekannten Reiz, der einen aber auch vertreiben kann.
Letzter Satz: „Doch es wollte mir nicht einfallen.“
KURIER-Wertung: **** und ein halber Stern
Ferdinand Schmalz: „Mein Lieblingstier heißt Winter“ S. Fischer Verlag, 22,95 Euro:
Das nicht so Normale in einer genormten Welt ist kostbar. Allein schon deshalb ist der Grazer Ferdinand Schmalz, als Dramatiker bekannt, ein Favorit. „Bofrost“-Fahrer Herr Schlicht soll einen Kunden den Doktor Schauer, der sich zum Sterben in die Eistruhe legt, mit dem Tiefkühlwagen abholen und fortschaffen. Er findet nur Rehragout „von gammeliger Erhabenheit“. Sterben geht nicht so einfach. Wie geht sterben?
Die Figuren sind keine Menschen, alles ist Kunst. Der Satzbau ist genauso seltsam. Man horcht auf, Seite für Seite.
Die letzten Sätze: „So sitzen sie noch eine Weile. Und blickt der Schlicht jetzt auf die Lichter dieser Stadt, und ist ihm, als würde er die Innenseite seiner Schädeldecke grad betrachten.“
KURIER-Wertung: *****
Olga Flor: „Morituri“ Verlag Jung und Jung. 22 Euro:
Macht die österreichische Realität noch schauriger und tragikomischer. Sagt die Jury. Ein Dorf im Moor, „braunstichige Gase“ steigen auf, die ÖVP regiert, die Menschen versinken (in Niedertracht, Gier, Korruption), aber vorher verbeugen sie sich vor ihrem Caesar: Die Todgeweihten grüßen, dem Titel des Romans entsprechend, den Staatsbesuch, es könnte Putin sein. Menschliche Sehenswürdigkeiten, ein Vergnügen für Leser, die hinter den Buchstaben mehr erkennen und den Schrecken ertragen können.
Letzter Satz: „Man könnte sagen, es sei nichts passiert.“
KURIER-Wertung: ****
Anna Baar: „Nil“ Wallstein Verlag, 20,90 Euro
Ein unmögliches Buch, umso behutsamer muss man umblättern. Das Gedankenspiel geht so: Autoren sind, was sie schreiben. Erfundenes schlummert in ihnen. Die Personen, von denen sie erzählen, sind Freunde geworden. Kann man Freunde umbringen? Eine Geschichtenerfinderin hat das Problem, dass ihre jüngste Fortsetzungsgeschichte, abgedruckt in einer Zeitung, nicht gut ankommt. Der Chefredakteur will, dass sie Schluss macht. Schön ist die Idee, schön die Sprache, schön ist es, sich voll darauf einzulassen.
Letzter Satz: „Und wo der Chefredakteur nichts als den Abgrund sah, wogt sanft und tiefblau das Meer.“
KURIER-Wertung: **** und ein halber Stern
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