Neues von Samuel Beckett, das 85 Jahre alt ist
Nachdem er, mit 26 ganz am Anfang seiner Karriere, eine zusätzliche Geschichte für die Kurzgeschichtensammlung „More Pricks Than Kicks“ im Verlag abgeliefert hatte, schrieb ihm der Lektor:
Das lassen wir lieber, denn es würde „den Umsatz sehr beträchtlich schmälern“.
Das war 1932, und wenn diese „Erzählung“ jetzt erstmals veröffentlicht wird, ist noch immer nicht damit zu rechnen, dass Scharen in die Buchhandlungen laufen.
Obwohl der irische Schriftsteller – „Warten auf Godot“ 1953, Nobelpreis 1969 – inzwischen nicht bloß weltberühmt ist. Sondern bedeutend.
Virtuos wirr
Zu Lebzeiten hatte Samuel Beckett (Foto oben) die nachträgliche Veröffentlichung von „Echos Knochen“ untersagt. Er war nach der Absage sehr einsichtig gewesen.
Heute pendelt man beim Lesen zwischen 1.) Beckett hat, was in seinem Kopf schwirrte und aufs Papier musste, abgeladen, rücksichtslos geradezu, völlig wirr.
2.) Aber virtuos wirr! Man lernt Beckett kennen, bevor er jener Beckett wurde, den man verehrt – karg, sich aufs Wesentlichste beschränkend und keinesfalls mit Wissen auftrumpfend.
Es ist wunderbar, dass „Echos Knochen“ einst nicht publiziert wurde. Er änderte daraufhin seinen Weg.
Buße
Zwischen „Die Toten sterben unsanft“ (erster Satz) und „So geht es in der Welt“ (letzter Satz) steckt ein Traum.
Vielleicht ist man im Zwischenreich, noch nicht ganz tot: Ein Einwohner Dublins sitzt auf einem Zaun. Er wirft keinen Schatten. Die Gruft, in der er liegen sollte, ist leer. Er ist zurück, um auf Erden zu büßen. Eine Prostituierte will ihn umarmen. Ein Adeliger will, dass er sich auf seinen Rücken setzt und so weiter.
Das ergibt keine Einheit, auch stilistisch nicht. Dante fliegt einem um die Ohren, Ovid ebenso, zitiert wird von der Antike bis Marlene Dietrich. Wen beißt die frascatorische Viper? Was machen die Nonnen von Minsk? Wo steht der Algum-Baum???
Die Erläuterungen sind länger als Becketts Text.
Sie bewahren, falls man unbedingt alles verstehen muss (obwohl man nicht alles verstehen muss), vor dem Verzweifeln.
Samuel
Beckett: „Echos
Knochen“
Übersetzt von
Chris Hirte.
Nachwort von Mark Nixon.
Suhrkamp Verlag.
123 Seiten.
24,70 Euro.
KURIER-Wertung: *** und ein halber Stern
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