Neue Chance für "Das Krähennest" von Martina Wied

Neue Chance für "Das Krähennest" von Martina Wied
Das Welttheater während des Weltkriegs in einem englischen Internat: Die Schwächeren werden aus dem Nest geworfen

Es trifft ja nicht nur auf den Zweiten Weltkrieg zu, der „draußen“ stattfand, während „drinnen“ in einem englischen Internat erschreckend vorgeführt wird, wie schnell man sich der Ideologie der „Herrenmenschen“ nähert (ohne es selbst zu merken) ...

Auf Seite 177 heißt es:

„Zeitläufte wie die unsrigen tauchen Charaktere in ein Scheidewasser, und die wenigsten bestehen aus einem Edelmetall, das solcher Probe standhält.“

(Da bekommt man auch gleich ein Gefühl für die ungewohnte, schöne Sprache der Wienerin Martina Wied, die Sätze sind länger, nichts kommt im Zackzack-Stil, nichts klingt hohl.)

„Das Krähennest“, 1944 nach der Flucht aus Wien nach England im Exil begonnen, wurde ignoriert, als der Roman 1951 erscheinen konnte.

Zweifel

Denn es war nicht erwünscht, sich DAMIT zu beschäftigen. Österreich setzte (sich) lieber auf den Schlussstrich: „Bereits im April 1948“, liest man im Nachwort von Evelyne Polt-Heinzl, „rehabilitierte das österreichische Parlament etwa 90 Prozent der 530.000 registrierten NationalsozialistInnen.“

Die Chance, „Das Krähennest“ zu entdecken, ist jetzt durch die Neuauflage gegeben; von Wiederentdeckung kann man wohl nicht reden.

Es ist ein Buch des Zweifelns. Als Paris von den Deutschen besetzt wurde – hätte die Kunsthistorikerin Madeleine damals bleiben und von innen Widerstand leisten sollen? Wie verhält man sich denn „korrekt“, wenn eine Diktatur entsteht?

Madeleines langjähriger Freund, ein Intellektueller, ließ sich überraschend blenden, er kollaboriert und wird zum Dank zum Unterrichtsminister gemacht. Madeleine geht nach England, nimmt einen Job als Deutschlehrerin in dem recht lockeren Internat an, das seinen Namen wegen der vielen Krähen hat, die in den Bäumen brüten. Der Name passt auch deshalb, weil die stärkeren Schüler die schwächeren aus dem Nest werfen.

Dramatisches Welttheater im Kleinen.

Aber es heißt doch, eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus!

„Madame“, wird ein Schüler der neuen Lehrerin verraten, „wir halten uns an die Überlieferung, wenn sie uns passt. Sonst lehnen wir uns dagegen auf.“


Martina Wied:
„Das
Krähennest“
Herausgegeben von Evelyne
Polt-Heinzl.
Edition Atelier.
480 Seiten.
28 Euro

KURIER-Wertung: ****

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