Natasha Browns Roman: Rassismus ist der zweite Krebs, der tötet

Natasha Browns Roman: Rassismus ist der zweite Krebs, der tötet
Eine Frau aus London macht Karriere im Bankwesen, aber sie gehört nicht dazu

Die nächste Konferenz. Die nächste Entscheidung.
Es gibt keinen Erfolg, nur das vorläufige Abwenden des Versagens.
Angst gibt es. Denn jeder Tag ist eine neue Möglichkeit, die Karriere völlig zu versauen.


Die Frau, die es in einer Londoner Bank weit nach oben geschafft hat (Beförderung  = Schreibtisch mit drei 41-Zoll-Bildschirmen und einem ergonomischen Sessel um 2.000 Dollar), sie hat das mittlerweile begriffen.

Lüge

Trotzdem plaudert sie in Schulen und an Universitäten, worauf es ankommt, will man einen tollen Job, wie sie ihn hat: Am Riemen reißen. Hemdsärmel hochkrempeln. Sich zwingen. Überwindung. Dann wird’s was. Dann geht alles.

Eine Lüge. Sie glaubt nicht daran. Aber die Bank hat sie darum gebeten. Die Vorträge gehören zu ihrem Job.

„Zusammenkunft“ ist eine Essenz. Die Leser müssen sie „aufspritzen“, erst dann wird sie zum Roman. Aufspritzen = in Gedanken ordnen, verbinden, füllen.

Die Britin Natasha Brown, die zehn Jahre in der Finanzwirtschaft gearbeitet hat, befolgt damit als Schriftstellerin einen Rat von Virginia Woolf (1882 – 1941):

Gelockt

Die Atome gehören aufgezeichnet, und zwar in der Reihenfolge, in der sie ins Hirn fallen, auch wenn es dann so aussieht, als fehle der Zusammenhang.

Das Muster ist es, das angeblich zählt. Im Muster wird bekannt, dass es sich um eine schwarze Britin handelt.

Die brave Angestellte eines Börse-Unternehmens. Brave Freundin eines weißen Mannes. Brave Tochter. Viel mehr erfährt man nicht über sie. Sie hat keinen Namen. Wahrscheinlich sind Vorfahren in den 1940ern aus Jamaika nach England gelockt worden, weil Krankenschwestern und -pfleger gebraucht wurden.

Aber schnell wuchs die Fremdenfeindlichkeit, schon Anfang der Fünfziger, Churchills zweite Amtszeit, wollte man die Arbeitsmigranten loswerden.

Samuel Selvon schrieb darüber „Die Taugenichtse“ (dtv.), in der die Hauptfigur sagt: „Wir leben alle zum Sterben, egal, was wir machen, solange wir leben ...“

Erkrankt

Die Bankangestellte gehört nie ganz dazu, wo auch immer. Geboren in London, hat sie nie wo anders gewohnt. Trotzdem: Woher kommen Sie? Ich meine ursprünglich. Afrika, oder?

Es macht ja nicht nur die Hochleistungsarbeit krank. Der Rassismus ist wie Krebs.

Nun folgt der radikale Punkt in „Zusammenkunft“: Diese Frau, deren Erzählung noch nicht in Form ist, erkrankt an Krebs.

Und verweigert die Behandlung.

Jetzt wundert man sich freilich und fragt: Ja, warum ist sie denn nicht einfach ausgestiegen und hat mit der Chemotherapie begonnen?

Natasha Brown antwortete im Interview darauf:

Das geht leider nicht. Denn wenn sie lebt, bleibt auch die Fehleinschätzung am Leben ... dass es, wer hart arbeitet, immer schafft.

 

Natasha Brown:
„Zusammenkunft“
Übersetzt von
Jackie Thomae.
Suhrkamp Verlag.
113 Seiten.
20,95 Euro

KURIER-Wertung: ****

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