Als Michael Köhlmeier in seinem Kopf Robert Dornhelm reden hörte

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Michael Köhlmeier hat so etwas Ähnliches wie eine Biografie über seinen Freund Robert Dornhelm geschrieben.

Robert und Micki. Freunde seit 40 Jahren. Der eine, Hollywood-Regisseur, Österreicher mit rumänischen Wurzeln. Der andere preisgekrönter Schriftsteller und Erzähler aus Hohenems, Vorarlberg.

Robert Dornhelm und Michael Köhlmeier lernten einander vor Jahrzehnten kennen, als Köhlmeier für ein Drehbuch nach Los Angeles flog. „Requiem für Dominic“, der 1990 in Dornhelms Geburtsstadt Temeswar/Timișoara gedrehte Film über die Rumänische Revolution, war die erste konkrete Zusammenarbeit des Regisseurs mit dem Schriftsteller als Drehbuchautor.

Genau genommen ist „Dornhelm – Roman einer Biografie“ wieder so eine Zusammenarbeit. Köhlmeier erzählt darin aus dem Leben seines Freundes. Von dessen Kindheitstagen in einem wohlhabenden Haushalt in Rumänien über das enttäuschende Kennenlernen des angeblich so farbenreichen Westens ausgerechnet im grauen Wien der 1960er-Jahre (dem Köhlmeier im Gespräch einen „Dritter-Mann-Touch“ einräumt) bis zu bemerkenswerten Besuchen bei Roald Dahl und Leonard Bernstein. Nicht zuletzt von einer außerordentlichen Begegnung mit dem ungarischen Schriftsteller Péter Esterházy, mit dem Dornhelm in einem Wiener Innenstadtlokal einst eine ganze Nacht zusammensaß; man erzählte einander jüdische Witze auf Ungarisch.

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Dornhelms Cousin, der ehemalige Staatsoperndirektor Ioan Holender, sowie Dornhelms gute Freundin Grace Kelly kommen natürlich auch vor. Ein anekdotisches „Namedropping-Buch“ ist daraus trotzdem nicht geworden, es wirkt tatsächlich wie ein Gespräch unter Freunden. Das Buch ist in Dialogform geschrieben, die beiden haben einander dafür 13 Mal zum Gespräch getroffen und somit die 13 Kapitel des Buches vorgegeben.

Selbstverständlich hörte Köhlmeier die Geschichten des Freundes nicht zum ersten Mal. Die vermeintliche und gefühlte Spontanität der Dialoge ist auch der jahrelangen Gemeinsamkeit geschuldet. „Ich habe unsere Gespräche zwar aufgenommen, das meiste wusste ich aber aus der Erinnerung. Und manchmal hat Robert mir Mails geschickt. Daraus habe ich dann Gespräche gemacht. Ich habe Robert in meinem Kopf reden hören.“

Er ist in mich hineingeschlüpft

Der Regisseur hat dem Autor die Regie überlassen. Er habe seinem Freund „Carte blanche“ gegeben, sagt Dornhelm, der manchmal über die Figur, die Köhlmeier aus ihm gemacht hat, schmunzelt. „Ich lächle über meine Klugheit. Aber das sind seine Worte und nicht meine. Er ist in mich hineingeschlüpft. Vor allem bin ich erstaunt, wenn es um Wissen über Film geht. Witzigerweise hat Micki viel mehr Interesse daran als ich. Es ist sonderbar, zu lesen, dass ich angeblich so so gescheit bin.“

Tatsächlich ist dieses Buch ein halbes Filmlexikon, von Marlon Brando über Omar Sharif bis zur charismatischen Rossellini-Darstellerin Anna Magnani, über deren Ähnlichkeit mit Köhlmeiers Frau Monika Helfer die beiden im Buch räsonieren. „Ich habe sicher viel Namedropping gemacht, das hat er eleganterweise weggelassen. Micki hat auch viele nicht erwähnt, die ich interessant gefunden hätte. Aber wie gesagt, er ist der Autor“, sagt Dornhelm und Köhlmeier kontert: „Er kennt wirklich alle. Aber eine Aneinanderreihung von Anekdoten und berühmen Leuten wollte ich nicht schreiben. Mir ging es hier vor allem um die Charakterisierung und die Gestaltung eines Freundes.“

Unter den vielen, die nicht vorkommen, ist Harvey Keitel, ein guter Freund Dornhelms, der einer der Ersten war, die das Manuskript des Buches in Händen hielten. Die Szene hat Dornhelm in seinem Haus in Malibu auf Fotos festgehalten. Beide lachen ausgelassen in die Kamera. Wenige Tage später, im Jänner dieses Jahres, ist Dornhelms Haus komplett abgebrannt. Nichts ist übrig außer Erinnerungen auf dem Handy. Das Feuer, das alles zerstört hat, loderte an der selben Stelle, wo auch Dornhelms früheres Haus vor mehr als 30 Jahren abgebrannt ist. Wo jetzt sein Zuhause ist? Immer da, wo er gerade arbeitet, sagt er pragmatisch. Oder da, wo seine Freunde leben. In Hohenems bei Michael Köhlmeier hat er auch schon oft übernachtet.

Dornhelm hat mit den größten Hollywoodstars gearbeitet. Schon in seinem ersten Film, der Ballett-Dokumentation „Die Kinder der Theaterstraße“, hat Grace Kelly die Erzählstimme gesprochen. Ein bemerkenswerter Coup für den damals komplett unbekannten, noch schlecht Englisch sprechenden Jungregisseur. Er hatte wohl so etwas wie Chuzpe. Als Grace Kelly, damals schon Fürstin Grazia Patricia von Monaco, zusagte, lud er den bereits dafür vorgesehenen Paul Newman wieder aus. Das Treffen mit Grace Kelly war lebensverändernd für Dornhelm, beruflich wie persönlich. Das Jahr 1977 wurde zum „Glücksjahr“ für ihn. Er wurde für den Oscar nominiert und ging noch im selben Jahr nach Los Angeles. Grace Kelly aber war nicht nur für seine Karriere wichtig, sie wurde ihm eine Freundin. „Eine wirklich gute Freundin. Und ich glaube, ich war auch ein guter Freund. Kannst du bestätigen, Micki, dass ich zu loyaler Freundschaft neige?“, sagt Robert Dornhelm im Buch und es klingt genau so, wie der echte Dornhelm es auch sagen würde. Die Romanfigur Micki Köhlmeier kann dann auch bestätigen, dass „Mr. Robert Dornhelm zu loyaler Freundschaft neigt“.

Mit offenen Augen und Ohren

Trotz des zugegeben aufregenden Lebens seines Freundes: Köhlmeier ging’s beim Erzählen mehr um das Wie als um das Was. „Ich hatte zwei Freunde. Der eine hat die ganze Welt gesehen. Aber wenn er davon erzählt hat, bin ich eingeschlafen. Der andere ist mit dem Moped gerade einmal von Bregenz nach Lindau gefahren, aber wenn er davon berichtet hat, hat man ihm mit offenen Augen und Ohren zugehört.“

Köhlmeier ist auch so einer, dem man mit offenen Augen und Ohren zuhört. Ein guter Erzähler. Manches aus dem Leben seines Freundes Robert hat er nachgezeichnet, vieles hervorgehoben, bestimmt einiges ausgelassen – er ist ja Romanautor und kein Journalist, sagt er.

Robert Dornhelm wurde 1947 im westrumänischen Timișoara geboren. Er ist heute Ehrenbürger der Stadt. Versöhnt ist er mit dem Land, aus dem er als Kind mit den Eltern vor den Kommunisten floh, nicht. „Ich habe den Schlüssel der Stadt. Und Ehrenbürger bin ich auch. Aber das Haus meiner Großeltern haben sie uns nicht zurückgegeben. Sie haben die Wohnungen darin verkauft, nachdem sie wieder gute Kapitalisten waren. Das verbittert mich einigermaßen.“ Trotzdem: „Ich habe eine gewisse Nostalgie und manche Erinnerungen sind mir viel wert.“

Sein Freund Micki, der mit Dornhelm viele Reisen nach Rumänien unternommen hat, hat den Erinnerungen nun auf die Sprünge geholfen. Eine Eins-zu-eins-Biografie ist dieses Buch gewiss nicht geworden. Und ein Roman? Köhlmeier: „Im 20. Jahrhundert ist ein Roman etwas, das über 200 Seiten hat und von dem der Autor sagt, es sei einer.“ Gut, nennen wir es also einen „Roman einer Biografie“.

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Michael Köhlmeier:
„Dornhelm. 
Roman einer 
Biografie“
Zsolnay. 
288 Seiten.
19,99 Euro