Martin Mosebachs weiter Weg zum roten Punkt auf dem Schnabel

Martin Mosebachs weiter Weg zum roten Punkt auf dem Schnabel
"Taube und Wildente" heißt der Roman: Über die Ehe und die Kunst und die rosa geschminkten Wangen der Berge

Es dauert, bis Martin Mosebach - Foto oben - auf den Punkt kommt. Es ist ein roter Punkt auf dem Schnabel einer Taube.

Aber zuerst liegt eine Zikade auf dem Boden, und eine junge Katze dribbelt mit dem Flügel schlagenden Körper. Mosebach kann die Zikade gut beschreiben, gepanzerter Nacken, Rüstungsringe. Man hört sie ein letztes Mal brummen.

Mosebach kann auch einen Berg beschreiben, „in der Sonne wie ein Kadaver ausgedörrt, trocken wie Gips oder Mehl, blaß und ausgesogen.“ Im Abendlicht „mochte der Berg seine müden Wangen rosa schminken ...“ Ist Geschmackssache. Brrr.

Im Nachthemd

Um seine Ehe- und Kunst- und Die-Ehe-Ist-Eine-Kunst-Geschichte voran zu treiben, wäre es kein Fehler gewesen, etwas weniger auf die Schönheit der Sprache und Eleganz zu achten.

Stark komprimiert (= viel Personal vergessend sowie die Harmonie, auf die alles zustrebt, außer Acht lassend):

Die Sommer verbringen Ruprecht Dalandt, der Verleger eines Kleinverlags, und seine Ehefrau Marjorie in der Bretagne. Ihr Vater, ein Belgier, vererbte das Anwesen und viel Kunst. Der mörderische Kolonialismus im Kongo hatte ihn reich gemacht.

Marjorie ist schroff, taktlos, kalt. Außer wenn sie im Nachthemd ins Pförtnerhaus übersiedelt, wo ein englischer Maler malt bzw. er marmoriert. Ihr Mann weiß das, er ist ebenfalls beschäftigt.

Irgendwie hat die Zikade am Anfang mehr interessiert.

Bis Ruprecht aufbegehrt. Marjorie findet nämlich ein Bild an der Wand schlecht: „Taube und Wildente“ von Otto Scholderer. Den gab es wirklich (1902), ein Meister der Stilllebenmalerei.

Ihr Mann aber ist begeistert. Vor allem vom völlig unpassenden zinnoberroten Punkt auf dem Taubenschnabel, mit dem – sagt er – der Maler den Sprung in die Moderne geschafft hat. Der Punkt als Zeugnis des Genies.

Marjorie will den „Quatsch“ um 60.000 Euro verkaufen. Rupert kauft ihr das Bild ab. Er bekommt keinen Rabatt.

Die Geschichte geht heiter weiter, aber der Punkt ist – der Punkt. Er entzweit vielleicht eine Familie. Er macht vielleicht das Leben reicher. Er gibt dem Altem einen neuen Schwung. Jeder braucht einen Punkt. Oder macht demnächst einen.


Martin Mosebach:
„Taube und Wildente“
dtv.
336 Seiten.
25,50 Euro

KURIER-Wertung: *** und ein halber Sterrn

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