Karl-Markus Gauß: „Wir sind Barbaren, aber immerhin Österreicher!“

Karl-Markus Gauß in seiner Salzburger Bücherwelt
Der Salzburger - neues Buch „Die Jahreszeiten der Ewigkeit“ - im Interview über Niedergeschlagenheit, Dummheit und das Glück im Alltag

In die Welt hinein flüchten, um sich vor ihr in Sicherheit zu bringen: In „Die Jahreszeiten der Ewigkeit“ (Zsolnay Verlag, 320 Seiten.
25,95 Euro) zeigt der Salzburger Schriftsteller Karl-Markus Gauß – wieder einmal –, wie das möglich ist. Um die Jahre zwischen seinem 60. und 65. Geburtstag geht es in dem Journal. Um Kinder und ums Alter, um Höflichkeit und Trostlosigkeit, um Marx, Trump, Norbert Hofer und Bob Dylan.

Um alles.

Um uns.

Mit Karl-Markus Gauß zu plaudern ist wie: mit hungrigem Geist seine Bücher zu lesen. Reihenweise gehen Lichter auf.

KURIER: Wie halten Sie es mit Snoopy? Charlie Brown hat zu ihm gesagt: „Eines Tages werden wir alle sterben, Snoopy.“ Und Snoopy dachte: „Ja, das stimmt. Aber an allen anderen Tagen nicht.“ Karl-Markus Gauß: Snoopy ist eben ein kluger und humanistischer Denker. Er lässt sich den Wert und die Schönheit des Lebens nicht durch die Erkenntnis rauben, dass diese unweigerlich eines Tages zu Ende geht. Eine tragische, aber doch eher triviale Erkenntnis, auf die allerdings viele Geistesgrößen ihr Weltbild gegründet haben. Etwa E.M. Cioran, der seiner Schar von Bewunderern mit geradezu auftrumpfender Bitternis den „Nachteil, geboren zu sein“ gepredigt hat. (Gauß lacht)

Wenn Sie von politischen Nachrichten genug haben und niedergeschlagen sind, lesen Sie Todesanzeigen in der Neuen Zürcher. Das muntert auf?

Ja, aber nicht aus Freude darüber, dass da jemand vor mir gestorben ist, sondern dass er zur hohen Lebenskunst befähigt war, sich mit Grandezza oder helvetischer Gelassenheit zu verabschieden. Etwa wenn eine alte Dame in ihrer selbstverfassten Parte sagt: „Statt mir Blumen aufs Grab zu legen, schenkt lieber eurer Liebsten welche.“

Sie kritisieren ja gar nicht immer und alles!

Viel lieber bewundere ich, und wenn ich etwas bewundern kann, dann beziehe ich daraus tatsächlich für ein paar Momente oder Tage so etwas wie Zuversicht und Fröhlichkeit.

Und machen Sie sich Mut mit dem Aufschrei: Ja, wir sind Barbaren, aber immerhin Österreicher!

Das ist die sarkastische Beschreibung einer realen österreichischen Kulturtechnik, sich mit skandalösen Missständen abzufinden. Man sagt sich: Ja, bei uns gibt es Korruption, aber dafür sind wir nicht spießig wie Piefkes.

Im neuen Buch schreiben Sie: Die organisierte Dummheit ist eine Macht, die zerstören möchte, was die Zivilisation zuwege gebracht hat. Was regt Sie zurzeit auf?

Wenn sich Leute tatsächlich einreden lassen, dass nicht 300 Jahre medizinischer Wissenschaft die Mittel bereitstellen werden, der Pandemie Herr zu werden, sondern die Verabreichung eines Entwurmungsmittels für Pferde, dann geht es nicht darum, dass halt jeder seine eigene Sicht auf die Dinge hat und haben darf. Sondern dass die Grundlagen unserer Zivilisation attackiert werden.

Die Pandemie wird eines Tages vorbei sein ...

... aber was uns bleiben wird, ist diese völlig neuartige Volksfront: dass vermeintliche Linke mit alten Nazis und jungen Identitären zum Endsieg über die jüdische Pharmaindustrie antreten.

Sie waren kürzlich auf Reha. Sind Menschen, die durch Krankheit oder Unfall verletzlich geworden sind, anders? Empathischer? Klüger?

Nein, Schmerz, Unglück, Angst, Leiden macht niemanden zu einem besseren Menschen. In der Intensivstation lag ich zwei Nächte und einen Tag mit einem Großbauern zusammen, der vermochte sich alleine nicht zu drehen, musste Windeln tragen, war rundum auf Hilfe angewiesen. Was er aber noch konnte: die Pflegerinnen und Pfleger wie sein Gesinde herumkommandieren. Unter den Siechen sind die Charaktere ziemlich genau so verteilt wie unter denen, die noch nicht wissen, dass sie eines Tages selber welche werden.

Die Journale, an denen sie arbeiten: Ist der alleinige Sinn, dass sie veröffentlicht werden?

Ich trage jeden Tag Beobachtungen, Gedanken, Ideen, Geschichten in mein Tagebuch ein. Das tue ich für mich, weil ich ohne diese täglichen Notizen vieles vergessen und schon über kurz ein dümmerer Mensch werden würde. Nach ein paar Jahren schaue ich’s mir an. Manches, was mir wichtig war, kommt mir nun unbedeutend vor, anderes verstehe ich gar nicht mehr, einiges beginnt mich neuerlich zu beschäftigen. Und nur aus diesem forme ich dann meine Journale, komponierte Bücher, in die höchstens ein Viertel von dem einfließt, was ich mir in den Tagebüchern notiert habe.

Sie schätzen und ehren das Alltägliche. Was ist das Tolle am Zähneputzen, arbeiten gehen, ZiB schauen, ZiB 2 schauen, schlafen?

Tatsächlich pflege ich eine fast religiöse Hochachtung des Alltags. Mir ist die Vorstellung ganz fremd, dass die eine tolle Reise, das eine großartige Fest das Jahr zu einem glücklichen machen. Es muss immer der Alltag sein, in dem man sein Glück findet und sich den Anspruch auf Glück auch in düsterer Zeit nicht streitig machen lassen darf. Und zum Alltag gehören die einfachen Dinge und Gerätschaften, die einen umgeben, die nahe Welt im Haus, im Garten, auf der Straße. Ich bin ein Liebhaber des alltäglichen Lebens, und den Zufall, der im Alltag eine große Rolle spielt, halte ich für meinen Komplizen.

 

PS: Die persönliche Lieblingsstelle in "Die Jahreszeiten der Ewigkeit" von Karl-Markus Gauß' Ehefrau ist:

"Der Moment, in dem ich die Achtung vor einer Frau verlieren kann: Wenn ich ihren Mann kennenlerne." ("Gilt nicht für uns", fügt sie an.)

Dieser Satz, der auf derselben Seite steht, ist allerdings auch nicht übel: "Sie war seit zwanzig Jahren mit einem Trottel verheiratet, und inzwischen sah man ihr das an."

 

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