Karen Duve: „Sisi“-Roman aus der Essenz von 65 Büchern

Karen Duve: „Sisi“-Roman aus der Essenz von 65 Büchern
Reiten, kämmen und wegen der Zähne nuscheln

Die Lust, einen Roman über Kaiserin Elisabeth zu lesen, mag gering sein.

Hingegen könnte die Lust, etwas Neues von Karen Duve zu lesen, groß sein.

Man will mehr von der Hamburgerin, seit sie über Annette von Droste-Hülshoff geschrieben hat – die nicht gerade magnetisiert (Die Judenbuche = Sittengemälde = Schullektüre).

Duve hatte in „Fräulein Nettes kurzer Sommer“ vermutlich jedes Schlagloch in Münster auf dem Weg zur Burg der Hülshoffs inspiziert. Deshalb lebt die Zeit (die Romantik), deshalb lebt Annette, und es lebt ihre Liebe (aber nur sehr kurz).

3 Uhr 30

„Sisi“ funktioniert ähnlich.

Karen Duve hatte nicht vor, ihr persönliches Bild der schönen Kaiserin niederzuschreiben. Sie hat lieber die Essenz aus 65 Büchern geholt, in denen Elisabeth einerseits verherrlicht wird wie etwa in den Tagebüchern ihrer Hofdame und Freundin Marie Festetics – und in denen sie andererseits kritisch gesehen wird wie etwa in Brigitte Hamanns historischen Büchern.

So viel Informationen hat Duve dadurch zusammengetragen, dass man mit ihr sogar Kaiser Franz Joseph begleiten kann, wenn er täglich um 3.30 Uhr in der Früh aufsteht und im Nachthemd exakt drei Zimmer weiter zu seinem Leibstuhl wandert.

Und Sisi reitet; und Sisi nuschelt, damit sie den Mund kaum aufmachen muss, denn sonst sieht man ihren einzigen Makel – die gelben Zähne.

Und Sisi reitet schon wieder; und im Kamm bleiben mehrere Haare von ihr hängen, jedes Haar 1,5 m lang ...

Und Sisi fährt an den Starnberger See ins Hotel Strauch mit 60-köpfigem Gefolge, einem Rudel Doggen, diversen Pferden.

Es sind die 1870er-Jahre. Noch vergnügt sich der Kaiser nicht mit Katharina Schratt, sondern hat Anna Heiduck als Geliebte. Sie braucht sein Geld. Ihr Ehemann verspielt alles.

Elisabeth reißt die Zwänge nieder, indem sie reist und reitet, einmal entkommt sie dem Hof und verdreht, kostümiert als gelber Domino. am Ball im Musikverein einem Beamten den Kopf.

Ihr Biograf Egon Graf Conte Corti lüftete 1934 dieses Geheimnis.

Elisabeths „Lieblingsspielzeug“ aber war ihre Nichte Marie Louise, die sie aber dann schnell unter die Haube brachte, weil in deren Schönheit eine echte Konkurrenz entstand.

Damit geht Karen Duves Roman zu Ende. Gewicht hat er kaum.

Und das ist der Unterschied: Ihr Buch über Annette von Droste-Hülshoff überraschte, denn man wusste wenig über „die Droste“, schon gar nicht, dass ihr Leben ein Aufbegehren war.

Aber Sisi ist ... Sisi, die alte Bekannte. Ihr eine bloß halbwahre oder vielleicht sogar erfundene Geschichte anzuhängen, hätte wahrscheinlich mehr Reiz gehabt.


Karen Duve:
„Sisi“
Galiani Verlag.
416 Seiten.
26,50 Euro

KURIER-Wertung: *** und ein halber Stern

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