Johanna Grillmayer: Was nach der Apokalypse kommt

Johanna Grillmayer
Die Wiener Autorin Johanna Grillmayer hat die Welt neu erfunden. Davor hat sie erst einmal aufgeräumt. Über das Ende und die Hoffnung danach.

Wie es ist, wenn eine Katastrophe den Großteil der Menschheit auslöscht? Dieser Frage hat die Wiener Autorin Johanna Grillmayer eine beeindruckende Romantrilogie gewidmet. Ort der Handlung: Österreich.

In ihrem 2023 erschienenem Debüt „That’s life in Dystopia“ beschreibt die studierte Historikerin eine Welt nach einer nicht näher genannten Katastrophe, die nur eine kleine Gruppe von Menschen überlebt hat, weil sie bei einem Zeltfest gerade rechtzeitig in einen Weinkeller gestolpert ist, während oben die Welt unterging.

Die nachfolgenden Teile „Ein sicherer Ort“ und das nun erschienene Buch „Ein guter Mann“ spielen Jahrzehnte nach dem mysteriösen „Ereignis“. Die Überlebenden von damals haben es geschafft, ihr Dasein auf neue Beine zu stellen und ihre Welt neu zu erschaffen. Ist aus der ursprünglich finsteren Vision, der Dystopie, also doch etwas Gutes entstanden?

Johanna Grillmayer nennt ihre Trilogie eine „heimliche Utopie“. Natürlich sei das Verschwinden so gut wie aller Menschen ein sehr dystopisches Szenario, sie nennt es auch „postapokalyptisch“. Aber eigentlich geht es der Mutter dreier Töchter darum, Alternativen zur bestehenden Gesellschaftsform aufzuzeigen: Wie kann man das Zusammenleben neu denken? „Das ist immer einfacher, wenn man eine Tabula rasa hat. Auch wenn es brutal ist. Ich habe ein schlechtes Gewissen, dass ich im ersten Teil so viele Menschen habe verschwinden lassen. Das ist nicht nett. Aber nur so hat man ein Experimentierfeld.“

Zivilisationsärgernisse

Tatsächlich ertappt man sich als Leserin dabei, die Vorstellung einer anderen Welt verführerisch zu finden. Dazu gehört auch das Verschwinden von Smartphones und anderen Zivilisationsärgernisse. Die Frage, was wirklich übrig bleibt, wenn es nur die Dinge sind, die man „braucht“, scheint reizvoll. Bei Grillmayer geht’s allerdings wirklich ans Eingemachte. Schon im ersten Band stellt sich die Frage: Ist man in der Menschheitsentwicklung am Ende angelangt? Geht es zurück ins Mittelalter? Die Überlegung etwa, wie lange der Traktor hält, ist lebensentscheidend. Von Medikamenten ganz zu schweigen.

Die kleine Gruppe von Überlebenden des „Ereignisses“ besteht zunächst nur aus einer erweiterten Familie, die später in ein Dorf zieht, wo es weitere Überlebende gibt. Es gibt eine Gemeinschaft, die bald auch Strukturen braucht. Dabei setzen sich eindeutig die Frauen durch, es entsteht eine Art Matriarchat. „Die Chance, die Gesellschaft neu und mit einem feministischen Gedanken zu überlegen, hat mich fasziniert. Und ganz utopisch sind meine Überlegungen nicht. Es hat auch schon früher Gesellschaftsformen gegeben, wo Frauen das Sagen hatten.“

Viele Jahre hat diese Geschichte in Johanna Grillmayer gearbeitet. Aber da waren Kinder großzuziehen und ein Brotberuf zu erledigen.

Was letztlich den Ausschlag für das konkrete Romanprojekt gegeben hat? „Ich hatte Lust, endlich einmal Fiktion zu schreiben“, sagt Grillmayer, die als ORF-Redakteurin hauptberuflich mit wissenschaftlichen Texten zu tun hat. Neben dem Spaß am Schreiben war da noch etwas anderes – die Sorge um die Zukunft. „Die Frage, wie es meinen Kindern einmal gehen wird, beschäftigt mich natürlich. Wie wird sich die Menschheit weiterentwickeln? Wir rasen womöglich auf eine Katastrophe zu. Wie wird die Menschheit sich dagegen wappnen? Werden wir das schaffen? Trotz aller Skepsis: Nachdem ich ein positiver Mensch bin, endet das alles in meiner Vorstellung dann doch nicht so dystopisch.“

Vorbild Atwood

Anders als bei einem ihrer großen Vorbilder, Marlen Haushofer. Ein Zitat aus deren düsterem Roman „Die Wand“ hat Grillmayer dem zweiten Teil ihrer Trilogie vorangestellt. Auch Doris Lessing und Margaret Atwood gehören zu Grillmayers Heldinnen. „Atwood streicht immer die weibliche Komponente in ihren Büchern hervor, das ist auch mir wichtig. Ansonsten sind Frauen in derartigen Endzeiterzählungen ja meist entweder Beute oder Mama. Oder bestenfalls die eine Frau, die mitdarf. Ich wollte etwas anderes erzählen. Mir war es wichtig, dass man erfährt: Wie würde eine Frau mit so einer Situation umgehen? Dazu gehört auch, dass Schwangerschaften, Geburten, Kindererziehung und Probleme mit Männern vorkommen. Natürlich nicht nur, aber es spielt eine Rolle.“

Neben allen gesellschaftspolitischen Überlegungen und Verwerfungen wollte Johanna Grillmayer vor allem eines: eine gute Geschichte erzählen. Schicksalsschläge, darunter die schwere Erkrankung eines Familienmitglieds, verlangen der Gruppe der Überlebenden in „Ein guter Mann“ viel ab. Die mittlerweile fast erwachsenen Kinder experimentieren in Sachen Sex, Liebe und Berufsausbildung, und ein brutaler Überfall stellt die Dorfchefin vor eine schreckliche Wahl. Und Jola, die im Mittelpunkt des Romans steht, muss sich darüber klar werden, was einen „guten Mann“ ausmacht. Das alles klingt nach guter Geschichte und nach Filmstoff. Grillmayer hätte nichts gegen eine Verfilmung einzuwenden. Dass der Ort der Handlung Österreich ist, konkret unter anderem Wien und das Marchfeld, kommt da gut gelegen.

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Johanna Grillmayer:
„Ein guter 
Mann“
müry salzmann.
416 Seiten.
28 Euro