Milena Michiko Flašar: Sterben, aber richtig

Eine Frau sitzt auf einem Felsen im Grünen.
Die österreichisch-japanische Autorin hat einen Kurzgeschichtenband und einen Essay über das Sterben geschrieben. Selten liest man so gerne von den Letzten Dingen wie bei ihr.

Ein Autor unter Erfolgsdruck. Sein Romanerstling wird als „Meisterwerk“ gefeiert, der Verleger meint: Da muss sofort was nach! Problem: Der Erfolg ist einem Erlebnis geschuldet, das der Autor selbst nicht wiederholen kann, er braucht dieses geheimnisvolle Fuchsmädchen dazu, das er einst weinend unter einem Busch gefunden hat und das später einfach so verschwunden ist.

„Die Füchsin“ ist eine von neun Kurzgeschichten im neuen Erzählband von Michiko Flašar.

In „Der Hase im Mond“ wird viel geweint – auch in „Pianopianissimo“ fließen Tränen, und zwar wegen eines eingesperrten Gorillas. Wer hier allerdings tatsächlich eingesperrt ist, ist letztlich nicht ganz klar. Ist es vielleicht doch der Erzähler?

Das Buch „Der Hase im Mond“ von Milena Michiko Flašar mit Kirschblüten-Illustration.

Milena Michiko Flašar:
„Der Hase im Mond“ 
Wagenbach.
240 Seiten
25,95 €

Hinter den Spiegeln

Fragen wie „Wer ist wer?“, „Wer bin ich?“ und „Bin ich vielleicht ein anderer?“ sind Leitmotive dieser Geschichtensammlung. In „Hawaiian Dreams“ etwa bemerkt eine Frau auf dem Balkon gegenüber eine andere, die ihr aufs Haar gleicht. Sie und ihr Partner verfallen in obsessive Beobachtungen der vermeintlichen Doppelgängerin. Am Ende steht die Frage: Wo findet das echte Leben statt? Sind wir hier oder, um mit Lewis Caroll zu sprechen, hinter den Spiegeln?

Immer wieder denkt man bei Flašar an Geschichten von Mädchen wie Alice, die hinter Kaninchen herlaufen, sich durch ein Erdloch zwängen und sich in einem Paralleluniversum wiederfinden. Natürlich auch an Haruki Murakami oder an Roald Dahl, den Meister des Bizarren im Alltäglichen. Etwa, wenn man von dem Mann liest, der sich seiner hässlich gekrümmten Zehennägeln schmerzlich bewusst ist und bald darauf im Büro seines Schwiegervaters einen ausgestopften Affen mit „klauenartigen Zehen“ entdeckt. Der Grusel wird nur angedeutet und selten enden Flašars Storys mit einer konkreten Pointe. Oft genügt ein Fingerzeig. Flašar beherrscht insbesondere die rätselhaften Eröffnungen. So beginnt die Titelgeschichte mit dem Satz: „Seit ich Professor Saitō beim Eierlutschen ertappt habe, hat sich meine Sicht auf die Welt geändert.“ Professor Saitō ist Kalligrafielehrer, dank ihm erfasst die Erzählerin den „meditativen Geist des Shodō“, wie man die Kunst der japanischen Kalligrafie nennt. Doch abseits des Meditativen ist dieser Professor ganz schön profan. Wie er „wohlig grunzt“, während er sich mit fettglänzenden Lippen an Käse und Salami satt isst! Auch das kann Flašar: Die Allgegenwärtigkeit des Profanen im vermeintlich Erhabenen aufdecken. Der Mensch menschelt eben. Etwa die Frau in „Tsunami“, die von der Katastrophe in Fukushima merkwürdig unberührt bleibt und die, anstatt zu trauern, wie sich das gehört, die obszönen Anrufe ihrer Nachbarin herbeisehnt.

Ihr Wissen um die Gleichzeitigkeit der Dinge, etwa die Traurigkeit und die Lächerlichkeit im Unheimlichen, machen Flašar zu einer großen Menschenkennerin. Das hat sie zuletzt im Roman „Oben Erde, unten Himmel“ bewiesen, wo es um Herrn Sakai ging, den Nachlassverwalter der einsamen Seelen, der die Verstorbenen grüßt, wenn er ihre Wohnung betritt, wo diese den Kodokushi, den Tod durch Vereinsamung, starben.

Sterben, aber richtig

Flašar ist Österreicherin mit japanischen Wurzeln. Das hat man oft geschrieben und tut es weiterhin, denn diese Information ist wichtig, um ihr Schreiben zu verstehen.

In ihrem Essay „Sterben lernen auf Japanisch“ erzählt sie, dass man sie immer wieder frage, warum der Tod ihr Schreiben ständig begleite. Als sie im Flugzeug sitzt, unterwegs in ihre zweite Heimat Japan, holt diese Frage sie ein. Sich mit dem eigenen Tod auseinanderzusetzen, kann man für sinnlos halten, weil man dann ja nicht mehr da ist. Und dennoch wird sie sich in Japan auf die Suche nach Anhaltspunkten machen, die ihr dabei helfen sollen, sterben zu lernen. Ein Leitmotiv: Leben und Sterben sind von gleichem Wert.

Das Buch „Sterben lernen auf Japanisch“ von Milena Michiko Flašar.

Milena Michiko Flašar:
„Sterben lernen auf Japanisch“
Wasser.  
120 S. 22,95 €
Ab  6. Oktober