Als Heinrich Böll und Ingeborg Bachmann Freunde wurden

Die literaturwissenschaftliche Bedeutung privater Briefwechsel von Schriftstellern ist offensichtlich, und doch hat man als Leser nicht selten das Gefühl, sich ein stückweit an Indiskretionen zu beteiligen.
Als im Jahr 2022 der Briefwechsel zwischen Ingeborg Bachmann und ihrem On- und Off-Partner Max Frisch veröffentlicht wurde, hätte sich mancher als unrechtmäßiger Schlüssellochbeobachter fühlen können – hätte nicht ohnehin Max Frisch selbst in seinen Romanen schon vieles vom Innersten dieser Beziehung nach Außen gekehrt.
Der nun veröffentlichte Briefwechsel zwischen Heinrich Böll und Ingeborg Bachmann ist in jeder Hinsicht anders. Er ist ein Zeugnis von Freundschaft und gegenseitiger beruflicher, aber auch privater Unterstützung. So beriet Böll Bachmann bei Verlagsentscheidungen (sollte sie zu Piper oder zu Kiepenheuer & Witsch gehen?) und die in Rom lebende Bachmann half der Familie Böll bei der Quartiersuche in der italienischen Hauptstadt und erwies sich dabei als äußerst patente Helferin.
Keine Balzerei
Ingeborg Bachmann und Heinrich Böll lernten einander kennen, als die junge Lyrikerin 1952 erstmals bei der Gruppe 47 auftrat, wo auch der um neun Jahre ältere Kollege, der ebenfalls erst begann, im Literaturbetrieb Fuß zu fassen, zugegen war. Böll habe sich, schrieb der Journalist Stephan Lohr in der Süddeutschen Zeitung (im Nachwort des vorliegenden Briefwechsels nachzulesen) niemals an der „Balzerei um die junge Schöne“ beteiligt. Die Briefe sind frei von erotischen Ambitionen, sie erzählen von echter Freundschaft und Kollegialität.
Der Briefwechsel begann im Dezember 1952, als die beiden am Beginn ihrer Karriere standen. Er endete im Juli 1972, Bölls letzter Brief ist eine relativ förmliche Einladung zu einer Tagung des P. E. N. Clubs. Ein Jahr später starb Bachmann.
Bölls Nachruf auf die Freundin ist gewissermaßen ein letzter Brief an sie. „... ich denke an die siebenundvierzigjährige Frau wie an ein Mädchen und ich wehre mich gegen etwas, das leicht gesagt ist: der Tod habe sie erlöst. Nein, diese Art von Erlösung suchte sie nicht.“
„Wie an ein Mädchen“: Tatsächlich war Böll der jungen Kollegin oft ein väterlich anmutender Freund. Andererseits hatte auch er mit Krisen zu kämpfen und suchte Rat bei ihr. In ihren Briefen sprechen die beiden von Politik, Literatur und Literaturbetrieb („Bitte schick mir, was Du schreibst“), von persönlichen und literarischen Sackgassen und vom In-Frage-Stellen des eigenen Lebens („Ich will nicht Deutschlands Heinrich sein“). Er liebte den irischen Regen, sie konnte sich von Rom nicht trennen. Immer wieder geht es auch um die materiellen Voraussetzungen des Schreibens: Wohnen und Geld. Letzteres war vor allem am Anfang immer knapp. Weswegen man ungeliebte Hörspiele schreiben musste. Dabei wollte Heinrich Böll „am liebsten immer in meinem Schlafzimmer bleiben, die Kinder und meine Frau um mich, im Bett essen, trinken, lesen, rauchen und abends dann unrasiert in eine Abendmesse schleichen (...)“.

Ingeborg Bachmann, Heinrich Böll:
„Was machen wir aus unserem Leben?“
Suhrkamp.
487 S. 46,50 €