Hanna Bervoets aus Amsterdam: Wer im Internet den Irrsinn löscht

Hanna Bervoets aus Amsterdam: Wer im Internet den Irrsinn löscht
Der Roman „Dieser Beitrag wurde entfernt“ handelt davon, dass die Drecksarbeit mit nach Hause genommen wird

Wie lange hält man es aus, acht Stunden täglich härteste Pornos zu sehen, auch Kindesmissbrauch?

Und Blut, echtes Blut, von einer Enthauptung beispielsweise?

Erstes hochgeladene Video: Jemand bricht zwei Kätzchen das Genick.

Zweites Video: Jetzt spielt er mit den toten Kätzchen ...

100 Entscheidungen

Sind alle verbunden weltweit, auf TikTok, Facebook, Twitter, YouTube .., ist der Abschaum eifrig mit dabei.

Sogenannte Content-Moderatoren versuchen, das Internet sauber zu halten. Geschätzte 100.000 erledigen diese Drecksarbeit und löschen Filme und Texte von Wahnsinnigen, von Verbrechern, von Rassisten, damit niemand sie sehen kann.

Ein paar Sekunden haben sie Zeit für ihre Entscheidung, für die nicht immer festgelegte Regeln anzuwenden sind. Hunderte Male täglich müssen sie entscheiden. Den Job nimmt man, weil’s etwas mehr Geld dafür gibt als am Telefon im Callcenter.

Video 2 wird nicht gelöscht. Man darf es nicht mit Video 1, das selbstverständlich gelöscht wird, in Zusammenhang bringen.

Das Leugnen des Holocaust ist nicht in allen Ländern strafbar, wie geht man demnach auf internationalen Plattformen damit um?

„Dieser Beitrag wurde entfernt“ ist der Roman der Niederländern Hanna Bervoets (Foto oben). Es mag zunächst verwundern, dass sie so wenig „live“ von der Arbeit erzählt und mehr über ein Meerschweinchen und lesbische Liebe.

Es würde mehr als nur verwundern, wäre Genaueres zu lesen. Was Bervoets erwähnt – die Kätzchen etwa oder das Mädchen, das ihren Körper aufritzt – reicht, um an der Menschheit zu verzweifeln.

Das ist Nachhaltigkeit. Der Roman wirkt lang nach. Die Art zu schreiben ist unspektakulär. Sie stiehlt dem Thema nichts an Aufmerksamkeit.

Dass ein freundliches Meerschweinchen in den Mittelpunkt gerät und lesbische Liebe in den Vordergrund kommt, zeigt nur: Hier versucht eine Moderatorin, das auf dem Bildschirm Gesehene nicht in ihr Leben mitzunehmen.

Klappt leider nicht.

Schon nach der Arbeit sitzen die Kollegen bei viel Alkohol im Wirtshaus und schimpfen, wie sie es in den Hassreden gehört und gelesen haben.

Eh nur „spaßhalber“.

Aber dann stellt sich heraus, dass die Freundin der Ich-Erzählerin die Gaskammern für eine Erfindung hält. Das ist dann das Ende der Beziehung.

Dagegen ist es bloß lächerlich, wenn sich Content-Moderatoren von der Vorstellung anstecken lassen, die Erde sei flach. Weltall gibt es für die Flachweltler(innen) nicht, die Mondlandung – nur eine schlechte Fälschung.

Derartige YouTube-Videos werden nicht gelöscht.


Hanna
Bervoets:

„Dieser Beitrag wurde entfernt“
Übersetzt von
Rainer Kersten.
Hanser Berlin.
112 Seiten.
20,95 Euro

KURIER-Wertung: **** und ein halber Stern

 

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