Ferdinand Schmalz: Ob das Rehragout sprechen kann, ist unwichtig

Ferdinand Schmalz: Ob das Rehragout sprechen kann, ist unwichtig
Der Bachmann-Preisträger und sein Tiefkühlmann: "Mein Lieblingstier heißt Winter" heißt der sehr schräge Roman

Doktor Schauer möchte in der Tiefkühltruhe sterben.

Er hat Krebs, er will lieber schon heute am Abend ... Doktor Schauer hat nur die Bitte: Der Tiefkühlmann, also gewissermaßen der „Bofrost-Fahrer“, der ihm immer Rehragout gebracht hat, der möge ihn, wenn er gefroren ist, mit dem Tiefkühlwagen abholen, damit ja niemand glaubt, es sei ein Unfall gewesen, er habe sich irrtümlich eingeschlossen, als ihm heiß war ... Tiefkühlmann Franz Schlicht soll ihn abholen und die Leiche in einem Park absetzen.

Wenn er auftaut, wird ihn ein Fußgänger entdecken und die Polizei rufen, und was dann geschieht, ist dem Doktor Schauer ziemlich egal.

Neuer Satzbau

Das lässt aufhorchen. Da darf man sich glücklich schätzen: Es besteht nicht die Gefahr, bei einem derartigen Beginn kommende Seiten lieber überspringen zu wollen.

Trotzdem hat Ferdinand Schmalz (das ist der gebürtige Grazer Matthias Schweiger, bekannt als Dramatiker) eine Sprache gefunden, mit der er die Lesegeschwindigkeit drastisch reduziert:

Er baut Sätze um und setzt Wörter dort ein, wo man sie nicht vermutet. Deshalb reißt es einen oft. „Dann“ oder „mehr“ zum Beispiel tauchen in Sätzen oft erst gegen Ende auf.

„Du hast mir nichts zu sagen mehr!“

Außerdem ruft jemand, wenn er „Was’n los?“ sagen will: „Erklären Sie sich!“

Also etwas aus der heutigen Welt gefallen, dieses Figurentheater – diese Kunstfiguren: Niemand wird glauben – allein schon wegen der Namen nicht: Schauer, Schlicht, die Reinigungsunternehmerin Schimmelteufel ... –, dass hier „richtige“ Menschen das Buch bevölkern. (Obwohl es doch die Kunst ist, die Realitäten erst sichtbar macht.)

Kein Schauer

Mit einem Stückerl aus dem jetzt vorliegenden Roman „Mein Lieblingstier heißt Winter“ hat Schmalz 2017 den Bachmannpreis für sich entschieden.

Er las jenen Teil vor, in dem noch nicht verraten wurde: Doktor Schauer liegt gar nicht gefroren in der Truhe, als Franz Schlicht ihn abholen will.

Aber viele Packungen Rehragout liegen auf dem Kellerboden („von gammeliger Erhabenheit“).

Schlicht fühlt sich verpflichtet, „seine“ Leiche ausfindig zu machen. Und es folgt, sehr schräg, die Suche nach Doktor Schauer, die zuerst zu Ingenieur Huber führt, der seine Fenster zumauern ließ und der Meinung ist, man sollte hungern und in einem winzigen Raum auf den Tod warten.

Wie geht sterben? Das ist die ernste Frage, die im vollständigen Text viel mehr beschäftigt als seinerzeit in Klagenfurt das Rätsel: Kann das aufgetaute Rehragout mit uns sprechen?

Jetzt ist interessanter: Was macht Heinz Schlicht im Maul eines Sauriers?

Das nicht so Normale in einer genormten Welt ist kostbar. Viel Schmalz kann deshalb nicht schaden.

 

Ferdinand Schmalz:
„Mein Lieblingstier heißt
Winter“
S. Fischer Verlag.
192 Seiten.
22,95 Euro

KURIER-Wertung: *****

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