Eine geworfene Schallplatte gegen die Unkultivierten

Eine geworfene Schallplatte gegen die Unkultivierten
Eckhart Nickel über drei Freunde, die in ihrem Versteck über die Kunst nachdenken: "Spitzweg"

Dass Kunst die Rettung ist – frei nach Arno Schmidt: sie ist die einzig wahre Welt, alles andere ist ein Albtraum –, das wird in Eckhart Nickels „Spitzweg“ auch in dieser Szene deutlich gemacht:

Mit einer Schallplatte wird geworfen, Vinyl-Chopin fliegt wie eine Frisbeescheibe auf den Anführer der Unkultivierten. Volltreffer. Die Platte war eine Einspielung Arthur Rubinsteins. Seine dritte Einspielung. Die wirkungsvollste. Der Getroffene fiel um.

„Spitzweg“ von Eckhart Nickel (Foto) ist der Roman über eine Schülerin und zwei Schüler einer Maturaklasse, die sich in ein verstecktes Zimmerchen zurückziehen, ihr „Kunstversteck“. Dort trinken sie Tee, essen After Eight-Schokolade (vor allem die vielen knisternden Papierln sind ein Kulturgenuss), hören Musik und denken über Kunst nach.

Ein Rückzug wie im Biedermeier, ein Rückzug wie von Spitzweg, der in der Dachkammer ungestört malte; zum Beispiel den „Hagestolz“. So ein lässiger Lord ist Carl, der stundenlang über die Wertigkeit von Anonymität ein Referat halten kann, über jungfräulichen weißen Grüntee und Kakao aus Venezuela ebenso, über jedes Gemälde sowieso. Dazu schwingt er seinen Spazierstock. Ein aus der Zeit gefallener 18-jähriger Dandy.

Sensibel

Carl und der Ich-Erzähler und das Mädchen Kirsten wurden zusammengeschweißt, als sich die Zeichenlehrerin Frau Hügel eine Dummheit erlaubte: Die Klasse zeichnete Selbstporträts, und zu Kirsten, dem einzigen Talent, sagte Frau Hügel, ihr Porträt beweise Mut zur Hässlichkeit.

Auch wenn es nicht böse gemeint war: So etwas sagt man nicht. Künstler sind sensibel. Kirsten lief aus dem Klassenzimmer, beschützt und abgeschirmt von den beiden Burschen. Man wird Rache nehmen.

Ist das langweilig?

Es ist nicht langweilig, wenn man sich an geschlängelten, altmodischen Sätzen erfreuen kann. Selten wird man in der heutigen Literatur Wörter wie „idealiter“ finden.

Es ist nicht langweilig, wenn man zuhören kann und sich gern etwas sagen lässt und Trost findet, dass wir bloß die nächste Generation einer Spezies sind und keine Individuen, die bedeutsame Spuren hinterlassen sollten.

„Spitzweg“ ist ein Kunstwerk, fürwahr. Aber dreht man sich weg, so ist es rasch vergessen.


Eckhart Nickel:
„Spitzweg“
Piper Verlag.
256 Seiten.
22,95 Euro

KURIER-Wertung: ****

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