Ein Roman, in dem es sogar beim Zahnarzt schön wird

Ein Roman, in dem es sogar beim Zahnarzt schön wird
Katharina Adler: Auf ihre Urgroßmutter „Ida“ folgt die stachelige „Iglhaut“

Gleich bekommt die Kanzlerin einen großen Topf Reis. Sie isst kein Fleisch. Sie isst Reis.

Die Kanzlerin ist ein kleiner Hund. Er gehört der Iglhaut. Die Iglhaut ist eine Tischlerin in München, um die 45 Jahre alt. In ihrem Nachnamen fehlt ein „e“, um komplett zu sein. „Igl“ statt „Igel“ – ein Stachel zu wenig. Iglhaut hat allerdings genügend Stacheln.

„Iglhaut“ ist ein Großstadtroman, in dem zwar städtisches Unwohlsein nicht ausgeklammert wird.

Aber daraus entsteht trotzdem ein gutes Leben.

Mit Knochen

Der „helle Ton“ war Katharina Adler - Foto oben - sehr wichtig. Er ist willkommen.

Schauen wir in jenes Zinshaus, in dem Iglhaut mit der Kanzlerin wohnt, im Hof ihre kleine Tischlerei, die fröhliche Nachbarin vom „betreuten Wohnen“ grüßt freundlich: „Du schaust heute wieder scheiße aus.“

So versteht man vielleicht besser, wie es in finsteren Zeiten hell wird:

Die Iglhaut bekommt vom Vater, der sie besucht, Lasagne gebracht. Sehr schön. Im Faschierten hat selbstverständlich kein Knochen etwas zu suchen. Trotzdem ist ein Knochen in Papas Lasagne. Iglhauts Backenzahn zerbricht. Das ist nicht schön.

Die Zahnärztin, zu der sie geht, hat einen Sohn, der erst lernen muss, Zahnarzt zu sein. Deshalb zahlt sie bei ihm für die Behandlung etwas weniger. Schön.

Außerdem ist der Zahnarzt ein fescher junger Kerl und lädt seine Patientin in die Oper ein. Das ist sehr schön.

Von Katharina Adler war dieses Buch der Leichtigkeit und Zuversicht nicht unbedingt zu erwarten gewesen.

Bekannt wurde die Münchnerin mit „Ida“, dem Roman über ihre Urgroßmutter Ida Bauer – der „Fall Dora“ (1900) von Sigmund Freud. Die bissl Hysterische.

Idas Papa hatte sie zum Professor gezwungen, weil sie nervös hüstelte. Freud sah darin eine Fellatio-Fantasie. Daraufhin wagte es die 18-Jährige, die „Kur“ abzubrechen und befreite sich von ihrer Rolle als Patientin.

Ohne Elegantes

Katharina Adler beherrscht Milieuschilderungen. In Iglhauts Haus ist alles vertreten – bis aufs Mondäne.

Ein buddhistischer Krankenpfleger verkauft Marihuana, eine Schriftstellerin ist neugierig, ein Ehemann tobt, seine Frau lässt sich alles gefallen („wegen der Kinder“), ein Kreuzworträtsel-Experte hat die Badewanne voll mit Büchern ...

Iglhaut wird, ohne es zu wollen, zum Dreh- und Angelpunkt der Bewohner.

Ihre Geldsorgen – und da kommt wieder das Helle – werden von einer Nonne erleichtert, die Heiligenfiguren restaurieren lässt.

Die Beziehung der Haupperson zum „Ex“ mag etwas seltsam sein, aber sie ist prickelnd.

Gegen Ende des Romans gibt es ein Fest im Hof, und die Iglhaut denkt: Alle sollen zusammenbleiben, die ganze Nacht, bis in die Ewigkeit.

So etwas steckt an, nun denkt man selbst, so ein Fest könnte man organisieren (und murmelt ins noch offene Buch: Aber der Hof ist zu klein dafür. Leider. Gott sei Dank).


Katharina Adler:
„Iglhaut“
Rowohlt Verlag.
288 Seiten.
23,95 Euro

KURIER-Wertung: ****

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