"Der Jahrhundertroman" von Peter Henisch ist ganz anders

"Der Jahrhundertroman" von Peter Henisch ist ganz anders
Der Wiener denkt an jene Zeit, als Literatur häufig aus langen Sätzen bestanden hat und in der Straßenbahn gelesen wurde

Seit Jahren arbeitet Peter Henisch am „Jahrhundertroman“, er ist kürzlich 78 geworden, hat viel erlebt, und er ist so gut, wenn er von Wien und seiner Familie erzählt, von den ehemaligen Lehmgruben am Wienerberg, von der Nachkriegszeit, wenn Einbrennsuppe dick in der Luft liegt.

„Der Jahrhundertroman“ ist aber ganz anders als erwartet. Zwar schwebt und tanzt Henisch wieder scheinbar leichtfüßig mit den Wörtern. Aber für welche Geschichte macht er das? Was hat er sich einfallen lassen?

Zu viel.

Zu viel Ballast.

Er schiebt die Verantwortung am großen Roman von sich: auf einen halb blinden ehemaligen Bibliothekar, Herrn Roch, der wie Henisch traurig darüber ist, dass die Menschen, die in öffentlichen Verkehrsmittel ein Buch in der Hand halten, aussterben. Dass überhaupt selten gelesen wird; und wenn, dann müssen es kurze Sätze sein, denn Fast Food ist begehrt. Siehe Bestsellerlisten.

Möglich, unmöglich

Der alte Bibliothekar sah sich deshalb geradezu gezwungen, über die Autorinnen und Autoren des 20. Jahrhunderts ein Buch zu schreiben. Als Dankeschön und gegen das Vergessen, dass es einmal eine Literatur gab, die er / die Henisch gelten lässt.

Herr Roch beauftragt eine Studentin, sein Manuskript für 2,50 Euro die Seite in den Laptop zu tippen. Aber erstens kann sie seine Schrift nicht lesen, zweitens bringt sie alle Seiten durcheinander, sodass sich Musil mit Thomas Bernhard mischt, und es gesellen sich Handke und Josef Roth, Doderer, Ödön von Horváth ... irgendwie dazu.

Von ihnen wird erzählt, das interessiert, allerdings ist nicht allein die Wirklichkeit wahrzunehmen, auch das Mögliche gehört beachtet. Hat schon Musil im Jahrhundertroman „Mann ohne Eigenschaften“ verlangt.

Bei Henisch wird aber nicht nur das Reale und alles Mögliche angerissen, man hätte gern Ausführlicheres – er bringt sogar Unmögliches ins Spiel: Ernest Hemingway ist von Christine Nöstlinger begeistert, er ruft sie an, er will sie heiraten.

Dass sich die Freundin der Studentin, eine Syrerin, versteckt, um nicht abgeschoben zu werden, wirkt wie der Zwang: Lasst mich auch darüber noch was schreiben!

Peter Henischs Sätze sind übrigens überraschend kurz.


Peter
Henisch
: „Der
Jahrhundert-
roman“
Residenz Verlag.
600 Seiten.
24 Euro

KURIER-Wertung: *** und ein halber Stern

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