Der erste Comics für Intellektuelle, 1913 - 1944

Der erste Comics für Intellektuelle, 1913 - 1944
Nur eine streitsüchtige Maus, nur eine verliebte Katze: "Krazy Kat"-Sonntagsseiten, aus amerikanischen Zeitungsarchiven geborgen.

Es war einmal eine Katze, die liebte eine Maus, einen Mäuserich, Ignatz hieß der.

Aber Ignatz mochte die Katze überhaupt nicht, Ignatz war eine aggressive Maus und hielt meist einen Ziegelstein in der Hand.

Den Ziegelstein warf er auf die Katze, und traf er sie am Kopf, sah dies die Katze d als Liebesbeweis an und liebte die Maus nur umso mehr. Sie war so voll Liebe, dass man sie für dumm halten konnte. (Und, mit Verlaub, das war sie auch.)

Es waren einmal Maus, eine Katze und auch noch ein Polizeihund, die Bulldogge Offissa Pupp.

Offissa Pupp bemühte sich sehr, den Ziegelwurf zu verhindern, oft genug erfolglos. Er war in die Katze heimlich verliebt und sperrte die Maus ins Gefängnis, das übrigens nur für diese Maus gebaut worden war.

So ging das 9.500 Mal in allen Variationen. Täglich ab 1913 unter dem Titel „Krazy Kat“ in den Zeitungen von Randolph Hearst:

Unter der Woche schwarz-weiß, ab 1916 am Wochenende ganzseitig und bald danach in Farbe.

Surreal

„Krazy Kat“ war der erste Comic-strip für Intellektuelle.

Das wird jetzt ein bisschen unangenehm, aber man muss hinzufügen: Die Zeitungsredakteure wollten „Krazy Kat“ verhindern. Sie verstanden’s nicht. Wie auch manche Leser mit Surrealismus, Existenzialismus und Tiefenpsychologie damals nichts anfangen konnten und sich über das Chaos empörten: Wieso steht in Bild eins ein Kaktus in der Wüstenlandschaft und in Bild 2 stattdessen ein Baum und in Bild 3 sogar ein großer Baum?

Verleger Hearst aber gewährte George Herriman Narrenfreiheit. Er machte den bescheidenen Mann aus New Orleans zu einem der erfolgreichsten und bestverdienenden Comiczeichner und -autoren seiner Zeit.

„Krazy Kat“ erschien bis zu Herrimans Tod 1944 in bis zu 40 Zeitungen.

US-Präsident Woodrow Wilson war erklärter Fan, Chaplin ebenso, Gertrude Stein ließ sich eine Zeitung mit dem Strip regelmäßig nach Paris schicken ...

Comics-Historiker Alexander Braun ist nicht der Einzige, der das absurde Tiertheater in einem Atemzug mit James Joyce, Samuel Beckett und Picasso nennt.

Sieben Kilo

Die bunten, experimentierfreudigen Sonntagseiten 1935 bis 1944 konnten komplett in Zeitungsarchiven gerettet werden.

Ein unmögliches Lesevergnügen ist das (samt 100 Seiten Biografie und Kulturgeschichte): Das Buch wiegt über sieben Kilo, es ist einen halben Meter hoch, im Bett erschlägt es einen beim Blättern, und ob man die Brille für Nah- oder Fernsicht aufsetzt, wird zum Problem.

Der Text blieb unübersetzt. Das ist wichtig. „Krazy Kat“ ist nicht nur Bildende Kunst, sondern auch Sprachkunst. Der kreative Slang sprengte alles bisher Gelesenes. Einfaches Beispiel: Trifft ein Ziegelstein die Katze, schmachtet sie die immer zorniger werdende Maus an: „little dahlink (= darling) ...“

Man schaut und liest, und langsam stellt sich Mitleid ein ... mit der Maus!

WARUM?

George
Herriman:
 „Krazy Kat. Sämtliche Sonntagsseiten in Farbe 1935 - 1944“
Herausgegeben von Alexander Braun. Taschen
Verlag.
632 Seiten. 150 Euro.

KURIER-Wertung: *****

Kommentare