Der brillante H.P. Lovecraft war ein Horror

Der brillante H.P. Lovecraft war ein Horror
Die Werkausgabe ist die notwendige Auseinandersetzung mit dem Amerikaner. Jetzt erschien der zweite Band

Der Mensch ist nur ein Staubkorn im Kosmos mit Blick auf schleimig-schwarzes Wasser und sintflutartige Schatten, vorbei an den krebsartigen Fungi vom Yuggoth; und wenn es H.P. Lovecraft (1890 – 1937) so gesehen hat, dann war er ein antisemitisches, ein rassistisches, ein frauenfeindliches Staubkorn, nah um den Nationalsozialismus kreisend.

Das alles weiß man, sah aber großzügig darüber hinweg, weil seine fantastischen Kurzgeschichten seit den 1990ern – also gut 50 Jahre nach dem Tod des Amerikaners – nicht mehr als „Schund“ gelten.

Sondern als Weltliteratur.

Vor der menschlichen Katastrophe, die Lovecraft war, kann man sich nicht mehr drücken: Sein Werk liegt in kommentierten Teilen vor, in den USA schon länger, auf Deutsch seit kurzem mit dem abschließenden Band zwei.

Doppelt lesen

Damit tauchen auch die augenfälligsten Schrecklichkeiten in Lovecrafts Werk auf, „Das Grauen in Red Hook“ (1925), in dem er Einwanderer als gesichtslose, abstoßende Masse zeigte. Und „Die Ratten in den Mauern“ (1923) mit einer Katze, die von ihm den Namen „Nigger-Man“ bekommen hat.

Aber auf den insgesamt 1.400 Seiten findet die Auseinandersetzung statt, die Literaturwissenschaftler seit langem fordern: Es wird neben den Geschichten erklärt, beleuchtet, man wird sich des Mists bewusst und kann danach den Schatz – denn das ist er – heben.

Ab sofort ist man gezwungen, doppelt zu lesen.

Herausgeber Leslie S. Klinger aus Kalifornien, ein Spezialist für Horror-Literatur, sagt: „Man kann brillant sein und trotzdem ein bigotter Fanatiker.“

Lovecrafts Ehefrau Sonia (aus jüdischer Familie stammend) ließ sich nach zwei Jahren scheiden, weil ihr Mann nicht aufhörte, über Juden zu schimpfen.

Sie erinnert sich an die kurze Zeit mit ihm in New York, als er „blass vor Zorn wurde angesichts der fremdländischen Elemente.“

Sie wollte ihn beruhigen: „Du musst sie ja nicht lieben. Aber sie so maßlos zu hassen, kann zu nichts Gutem führen.“

Er: „Es ist wichtiger zu wissen, was man hassen muss, als zu wissen, was man lieben muss.“

Rasch kehrte er in seine Heimatstadt Providence im Bundesstaat Rhode Island zurück. Allein. „Ich bin Providence“, hat er gesagt.

Machtlos

„In seinem Haus in R’lyeh wartet träumend der tote Cthulhu.“

Cthulhu, H.P. Lovecrafts bekanntestes Horrorwesen, kam vor Millionen Jahren von den Sternen auf die Erde, ist hunderte Meter groß, hat Tentakel und Flügel, und man sollte ihn eher nicht wecken.

Damit konnte sein Schöpfer die Machtlosigkeit der Menschen zeigen und die Unerträglichkeit dessen, was wir nicht einmal ahnen.

Lovecraft – ein Meister der Andeutung, dem es vor allem um Atmosphäre ging – öffnete die Türen immer nur einen Spalt.

Das reicht, um sich ganz schnell auf unsere geruhsame Insel der Unwissenheit zurückzuziehen.

 

H.P. Lovecraft:
„Das Werk II“
Übersetzt von Andreas Fliedner und Alexander Pechmann.
Fischer TOR,
512 Seiten.
80,95 Euro

KURIER-Wertung: *****

Kommentare