David Grossmann und die Hölle von Goli Otok

David Grossmann und die Hölle von Goli Otok
Der israelische Schriftsteller über eine vergiftete Familie und Titos Gulag: "Was Nina wusste"

Mitten in der Adria, zwischen Rab und der kroatischen Küste, war eine Hölle. Goli Otok hieß sie, bekannt als „Titos KZ“ bzw. „Titos Gulag“.

Das heißt, bekannt war die Gefängnisinseln nicht. Ihre Existenz sollte geheim bleiben.

„Staatsfeinde“ wurden dort untergebracht. Im Steinbruch mussten sie arbeiten: Anfangs waren es Stalinisten und Faschisten, später auch Sozialdemokraten, Monarchisten, Bürgerliche, Studenten, Bauern – Gegner Titos.

Auch wer überlebte: Vernichtet wurde in allen etwas.

Heute werden dort Bier und Ćevapčići verkauft, Kroatien erinnert sich lieber nicht.

90. Geburtstag

Eine Überlebende war Eva Panić-Nahir.

Der israelische Schriftsteller und Friedensaktivist David Grossman – zuletzt: „Kommt ein Pferd in die Bar“ (2016), Foto oben – löst mit „Was Nina wusste“ ein Versprechen ein.

Eva wünschte sich vom Freund so sehr den Roman ihres Lebens, durchaus auch mit Dazu-Erfundenem: Fünf Jahre nach ihrem Tod ist „Was Nina wusste“ erschienen.

Eva wurde im Buch zu Vera. Mit 40 kam sie aus Kroatien in einen Kibbuz nach Israel. Jetzt, zum 90. Geburtstag, fährt Vera mit ihrer Tochter Nina, etwa 60, und Enkeltochter Gili (Ninas Tochter, 39) nach Goli Otok, um am Ort des Schreckens zu erzählen. Gili filmt mit, auch für ihre Mutter Nina filmt sie, die an Demenz erkrankt ist und sich wünscht, den Film später im Heim vorgesetzt zu bekommen.

Kein Spion

Das ist das Gerüst, das ist nur das Skelett.

David Grossman gibt ihm so viel Fleisch, so viel verschlungenes Gewirr, das man Leben nennt, sodass immer wieder betont werden muss: Seine Freunde werden Freunde der Leser, wenn nicht gar enge Verwandten.

Die Familie ist vergiftet. Denn Vera hatte Nina im Stich gelassen: Sie hätte ihren Mann, der sich in Haft erhängte, im Interesse Jugoslawiens denunzieren sollen – als Spion Russlands. Das war er nicht, ein Held im Weltkrieg war er.

Vera hat den Toten nicht denunziert, er war die Liebe. Da ging sie lieber nach Goli Otok und ließ die kleine Nina allein. Und Nina ließ später ihre Tochter Gili allein ...

Nichts kann man rückgängig machen. Nichts lässt sich reparieren. Nur reden kann man. Darüber schreiben. Und bei der Frage verweilen: Den Ehemann, den toten Ehemann, der Tochter vorziehen?

 

David
Grossman:
„Was Nina
wusste“
Übersetzt von Anne Birkenhauser.
Hanser Verlag.
352 Seiten.
25,90 Euro

KURIER-Wertung: **** und ein halber Stern

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