Claudio Magris weiß, wo Österreicher aus Wandteppichen steigen

Claudio Magris weiß, wo Österreicher aus Wandteppichen steigen
In "Gekrümmte Zeit in Krems" wird von Gegenwart und Vergangenheit erzählt, die eins werden

Claudio Magris schiebt seine Gedanken hin und her, und diesmal macht er das in fünf kurzen Erzählungen, von denen jene, die dem Buch den Titel gibt, in Krems beginnt.

Dieses Bild kann nicht nur in Niederösterreich Staunen auslösen: Magris fühlt sich vom heutigen Krems an die sagenhafte Stadt Vineta in der Ostsee erinnert, auf deren Straßen die Menschen in antiken Gewändern umhergehen.

Er stellt sich vor, wie sie nachts aus den Wandteppichen ins Leben treten.

Claudio Magris war in Krems, eine Einladung zum Abendessen. Kleinigkeiten aus seiner Biografie reichen dem Triestiner (dem „letzten Kaffeehausliteraten Triests“), damit seine Geschichten eigene Wege gehen. So führt die Erinnerung an eine Schulkollegin, die vor 60 Jahren für ihn unerreichbar war (und jetzt mit ihm telefoniert) zu Gedanken, wie sich die Zeit anfühlt. Wie es sich anfühlt, wenn die Zeit vergeht.

Alle Erzählungen sind Auseinandersetzungen mit der Zeit. Es sind in die Jahre gekommene Männer, die nur ein kleines bisschen melancholisch werden. Es sind kluge Männer. Dass für sie etwas zu Ende geht, ist der Beginn einer neuen Freiheit, ein „unendliches Geschenk“.

Runzelig

Gegenwart existiert nicht. Gestern, Heute und Morgen sind eins. Zeit ist Illusion.

Wie so oft bringt Claudio Magris Themen, die gut in Sachbücher passen, in die Literatur: Wenn jemand, ein Jude, zurückdenkt an den Vater im Kaftan, der ihm, dem damals kleinen Sohn, beim Spazierengehen in Triest ermahnt, er soll immer brav Mussolini huldigen, dann könne ihm nichts passieren ... Wenn ein alter Dichter feststellt, dass auch die Seiten alt werden, sie bekommen Eselsohren, verknittern, werden runzelig wie seine Haut ...

Wenn geschrieben steht: „Es ist größenwahnsinnig, so zu tun, als lebe man ...“

Gegen Magris’ Buch „Schnappschüsse“ (2019) ist „Gekrümmte Zeit in Krems“ tatsächlich in höheren Sphären angelegt. Geblieben ist, wie präsent Triest ist. Geblieben ist der Wunsch, dass es auch später ein Wirtshaus mit Wein und Schinken geben wird anstatt Engel, die zwischen den Wolken Trompete spielen.

Claudio Magris ist 82. Am 10. April hat er Geburtstag. Aber auch das wird wohl eine Illusion sein.


Claudio
Magris:
„Gekrümmte Zeit in Krems“
Übersetzt von
Anna Leube.
Hanser Verlag.
96 Seiten.
20,95 Euro

KURIER-Wertung: ****

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