Buchkritik: Tanja Paar und "Die zitternde Welt"

Buchkritik: Tanja Paar und "Die zitternde Welt"
Über den Versuch, sich in kriegerischen Zeiten frei zu fühlen: Die neue Heimat bei der Balkanbahn

Der Buchumschlag ist gelungen. Ein Baum, verkehrt, seine Blätter und Früchte hat er unten, den Stamm oben, dazu der Titel „Die zitternde Welt“: Nicht nur Bäume werden entwurzelt, wie man gleich sehen / lesen wird – das Wort „sehen“ passt schon:

Obwohl sich die gebürtige Grazerin Tanja Paar (Bild oben) sowohl in der Zeit als auch im Raum so weit wegbewegt, schafft sie’s, dass man daneben in einem Sessel zum Sitzen kommt und Generationen beobachtet.

Ab 1896.

Beginnend in einem Bergdorf in Anatolien.

Die hochschwangere Maria aus einem oberösterreichischen Dorf reist dem Kindesvater ins Osmanische Reich nach. Wilhelm ist ein junger Ingenieur und arbeitet für die Eisenbahngesellschaft an der Balkanbahn (von Deutschland in den Iran). Dass sich Maria „benimmt“, das hätte er gern. Aber sie will reiten, frei sein. Der Französischlehrer ihrer Söhne wird ihr Geliebter; und ihr braver, biederer Ehemann wird an Syphilis sterben.

Ungeschminkt

Tanja Paars zweiter Roman ist alles andere als eine Wiederholung des ersten („Die Unversehrten“, im Haymon Verlag erschienen).

Rasant ging es um Neid und Rache, um einen Mann und zwei Frauen – zwei Mal war man beim Lesen nah am Aufschreien.

Hingegen ist „Die zitternde Welt“, so tragisch es in den zwei Weltkriegen wird, ruhig. Einnicken ist nicht gänzlich ausgeschlossen . Aber es wird wegen der ungeschminkten, tatütata-losen Art des Erzählens ein glückliches Kurz-die-Augen-Schließen sein.

Eine kleine Familiengeschichte im Historischen. Eine starke Frau, Maria, die sich unter den Türken im Dorf zu Hause fühlt, vom Oberösterreichischen ist mit Schrecken in Erinnerung geblieben, dass es Schwarzbrot gibt, immer nur Schwarzbrot.

Im ersten Teil steht Maria im Mittelpunkt, dann übernehmen ihre Söhne und ihre Tochter.

Und wäre es ein mit viel Marketing angepriesener großer Roman eines großen deutschen Verlagshauses – und würde „Die zitternde Welt“ als ein Höhepunkt des Winterprogramms angekündigt werden:

Man könnte es glauben. Sofort.

 

Tanja Paar:
„Die zitternde Welt“
Haymon Verlag.
300 Seiten.
22,90 Euro

KURIER-Wertung: **** und ein halber Stern

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