Barbi Marković: Die Neunziger dürfen nicht zurückkehren

Barbi Marković: Die Neunziger dürfen nicht zurückkehren
Über die verlorenen Jahre in Belgrad und eine Zeitreise für eine bessere Zukunft

Es gab Computerspiele, brutale Kampfspiele auf der Sega-Konsole, aber erst wenn man einen Zahlencode eintippte, spritzte Blut.

So sah die unzensurierte Version aus; und so, schreibt Barbi Marković (Foto), so war Belgrad in den 1990ern: als hätte jemand ins reale Leben den Gewaltcode eingegeben.

Das war: „Die verschissene Zeit“, Krieg, Depressionen, Kakerlaken, Nationalinteressen und Geldscheine, die alle paar Wochen drei Nullen dazu bekommen haben („Die Nullen vermehrten sich wie die Kakerlaken“).

Die serbische Jugend wird von der Schriftstellerin – 1980 in Belgrad geboren und seit 2006 in Wien – beobachtet. Wie die Generation bestrebt ist, zu den Dieslerinnen und Dieslern zu gehören; obwohl die breiten Dieseljeans sauteuer waren (und sind).

Spucken

Wichtig war auch, alle paar Sekunden einen Schleimbatzen auszuspucken, am besten grün von ganz tief unten, und man musste sich auf dem Gehsteig breit machen und tief und abgehackt reden und schimpfen, ständig schimpfen, „Ich spucke auf dein Grab“ ist das Harmloseste.

Die Bambalić-Zwillinge waren die Überdiesler im Belgrader Stadtteil Banovo brdo. Konnten sie sich keine Nike leisten, zogen sie den Schwächeren die Schuhe aus.

Barbi Marković überschreitet die Geschichte des Erwachsenwerden in unruhigen Zeiten aufs Feinste, aufs Mutigste. Sie scheut nicht vor dem kindlichen Element einer Zeitreisemaschine zurück, die von einem Medaillon aktiviert wird – Marke Thomas Brezina.

Dann wandert der Roman: 1993 (die Mostar-Brücke wird gesprengt), 1996, 1999 (die NATO bombardiert Belgrad). Erster Zusatz: ein Blick auf 2001, als ein Schwuler totgeprügelt wird.

Zweiter Zusatz, das Heft steckt hinten im Buch: die Anleitung für ein Rollenspiel mit dem Ziel, dass diese Jahre nicht zurückkehren, auch in den Köpfen nicht.

Es soll versucht werden, in der Vergangenheit alles anders zu machen, um ein besseres Leben vor sich zu haben – damit nicht, Seite 227, ein junger Mann weint: „Unsere Zukunft wurde mit schweren Stiefeln niedergetreten.“

Wenn einem etwas egal ist, sagen Serben den seltsamen Satz: „Das geht mir in den Schwanz.“ Barbi Marković’ Roman geht voll ins Hirn.


Barbi Marković:
„Die
verschissene Zeit“
Residenz Verlag.
324 Seiten.
24 Euro

KURIER-Wertung: **** und ein halber Stern

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