Andrej Platonow: Zweideutige Wahrheitssuche unter Stalin
In „Die glückliche Moskwa“ bekommen die Helden des Kommunismus feine Speisen aufgetischt, und wenn man nicht weiß, wer Andrej Platonow war ... und wenn man sich nicht bewusst macht, wie sehr er aufpassen musste mit seinen Texten, dann denkt man: Er findet das Leben so, wie Stalin es beschrieben hat – besser, fröhlicher.
Aber diejenigen, die vor der Festtafel sitzen (so schreibt Platonow), die essen zögerlich und wenig; und wer Platonow besser kennt – vielleicht, weil er sich schon mit dessen großen Romanen „Tschewengur“ und „Die Baugrube“ beschäftigt hat ... und wer sich noch dazu vergegenwärtigt, dass damals – 1932, 1933 – die schrecklichste Hungersnot herrschte, und zwar wegen der Zwangskollektivierung, der könnte auf die Idee kommen:
Diese Stelle beim Stehenlassen des Essens ist ein leiser, ein ganz leiser Protest.
Es wird einiges verlangt beim Lesen der „glücklichen Moskwa“. Es gilt als Platonows schwierigster, weil besonders verschlüsselter Roman bzw. handelt es sich um ein Romanfragment: Ein Teil wurde während einer Fahrt mit der Eisenbahn gestohlen.
Platonow musste zweideutig sein bei seiner Wahrheitssuche.
Parteiausschluss
Das Buch durfte in der Sowjetunion erst 1987 erscheinen, geschrieben war es zwischen 1932 und 1936 worden. Platonow arbeitete hauptberuflich als Techniker an der Wasser- und Elektrizitätsversorgung.
Ja, er war anfangs begeistert von der Idee des neuen Menschen. Nein, es hat nicht lange gedauert, bis er enttäuscht war von dem, was daraus wurde.
Es geschah rasch, dass Stalin ihn „Scheißkerl“ nannte und er aus der Partei ausgeschlossen und zur Unperson erklärte wurde. Seinen 15-jährigen Sohn hatte man als angeblichen Spion zu Lagerhaft verurteilt, wo er sich mit Tuberkulose ansteckte und nach der Entlassung starb.
Platonows schöne, eifrige Moskwa heißt so, weil sie keinen Namen hat. Mit ihr geht und irrt man durch Moskau in der Frühphase des Terrors. Es sind Alltagsgeschichten, ins Absurde gesteigert. Es ist ein Leben, in dem die Liebe keinem Einzelnen gelten darf, sondern dem Gemeinsamen.
Der Roman beginnt mit einem Bild der Oktoberrevolution: Ein Mann mit Fackel läuft durch die Straßen und befreit Häftlinge. Hurra? Man musste die Gefangenen hinauswerfen! Denn im Gefängnis gab es wenigstens immer Suppe.
Zum Foto oben: Platonow mit Sohn aus dem Buch von Hans Günther: Andrej Platonow. Biographie. Leben – Werk – Wirkung, Suhrkamp Verlag
Andrej
Platonow:
„Die glückliche Moskwa“ Übersetzt von Renate Reschke und
Lola Debüser. Nachwort von
Lola Debüser.
Suhrkamp Verlag.
221 Seiten.
24,70 Euro.
KURIER-Wertung: ****
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