Aharon Appelfelds letzter Roman: Erinnerungen sind Gefühle

Aharon Appelfelds letzter Roman: Erinnerungen sind Gefühle
"Sommernächte" erschien in Israel vor seinem Tod im Jahr 2018

In seinen Büchern untersuchte er sein Leben, untersuchte Vater und Mutter und Czernowitz, die versunkenen Welt in der Bukowina, in der Aharon Appelfeld geboren wurde. „Jerusalem am Fluss Pruth“ wurde Czernowitz genannt.

„Das kleine, schöne Städtchen verwandelte sich binnen eines Tags in eine Falle. Die Juden durften nachts ihre Häuser nicht mehr verlassen. Gendarmen und Soldaten brachen in ihre Häuser ein, plünderten sämtliche Wertgegenstände und nahmen anschließend die Alten und Kinder mit sich.“ (aus „Sommernächte“, dem 46. Buch Appelfelds, das in Israel 2015 erschien: drei Jahre bevor er, 85-jährig, in Jerusalem starb)

„Sommernächte“ ist nicht autobiografisch. Aber die Gefühle sind autobiografisch. Für diesen Schriftsteller waren Erinnerungen immer Gefühle, die man gehabt hat.

Ein jüdischer Bub, acht mag er sein, wird zu dessen Sicherheit vom Vater einem alten Freund übergeben. Einem weisen, blinden Mann, mit dem der Kleine eineinhalb Jahre von Dorf zu Dorf zieht, in den Wäldern schläft, dort Tee kocht und Maisbrei – mit ein paar Löffel Milch, wenn sich’s mit dem Geld ausgeht.. Gebettelt wurde nur sonntags vor der Kirche.

Keine Angst

Der Bub heißt Michael, nun heißt er Janek, das ist besser so. Er lernt die harte ukrainische Aussprache, er lernt: Angst ist verboten, Angst macht klein. Er lernt: „Nichts zu machen“ sagt man nicht – es liegt Verzweiflung im Satz.

Wird nach dem Krieg noch jemand aus seiner Familie am Leben sein?

Die einfache, schmucklose Sprache empfängt jede(n) wie mit offenen Armen. Aharon Appelfelds Bücher sind Schutz vor dem Bösen. Sie immunisieren. Falls das notwendig ist.

Die Wahrheit ist: Seine Mutter war von rumänischen Antisemiten umgebracht worden, Vater und er kamen in ein Arbeitslager – Aharan konnte flüchten und wurde wie Michael/Janek in den Wäldern erwachsen. Seine blauen Augen und blonden Haare waren gute Tarnung.

25 war er, als er erfuhr, dass sein Vater den Holocaust überlebt hatte. In Israel arbeitete er auf einer Obstplantage. Der Sohn erkannte den Mann auf der Leiter: „Herr Appelfeld?!?“

Man erfährt darüber in anderen seiner Romane. Es gibt eine Menge nachzuholen.


Aharon Appelfeld:
„Sommernächte“
Übersetzt von
Gundula Schiffer.
Rowohlt Berlin.
224 Seiten.
22,95 Euro

KURIER-Wertung: ****

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