Buch-Highlights 2012: Viele Italiener
Der ganz persönliche Favorit wird eine ordinäre Schnecke sein. Ohne Knoblauchbutter. Neohelix albolabris.
Sie saß auf einer Topfpflanze, die Freunde aufs Nachtkastl stellten. als die Biologin und Journalistin Elisabeth Tova Bailey wegen einer seltenen Viruserkrankung liegen musste. Monatelang musste die Amerikanerin liegen und machte Beobachtungen. Sie lauschte.
„Das Geräusch einer Schnecke beim Essen“ kann man sich sofort im Internet auf www.elisabethtovabailey.net anhören; und darüber lesen ab 6. Februar:
Der Schweizer Verlag Nagel & Kimche hat die Rechte an dieser Entschleunigung erworben.
US-Zeitungen berichteten enthusiastisch über die „Hochzeit von Wissenschaft und Poesie“.
Man wird dieses Buch auch bei uns wahrnehmen – schon deshalb, weil im Frühjahrsprogramm der deutschsprachigen Verlage gar nicht so viele große Namen den Blick auf das Leise, Unscheinbare verstellen.
Das ist schon auch eine Freude.
Denn so wird man z.B. die gebürtige St. Pöltnerin Milena Michiko Flašar entdecken, Tochter einer Japanerin. Im Debüt der 31-Jährigen – Ende Jänner bei Wagenbach – begegnen einander bloß zwei Männer auf einer Parkbank.
Ein Junger, der sich lange Zeit eingeschlossen hat und jetzt einen Schritt in die Welt tut: „Ich bin ein zusammengedrückter Mensch.“
Und ein Älterer, der seinen Job verloren hat – graues Sakko, weißes Hemd, „Ich nannte ihn Krawatte“ (Buchtitel) ... Zwei, die dem Leistungsdruck nicht standhielten, laden zum Besinnen ein.
Und dann ... die Italiener!
Es schaut ganz nach ihrer Rückkehr in die Literatur aus. Es gibt wieder viel mehr als Eco, 80, und Camilleri, 86.
Sieben Beispiele:
Davide Longo: Der Turiner, nach dem bewunderten, rauen Roman „Der Steingänger“ von Wagenbach zu Rowohlt übersiedelt ist, hat die Parabel auf Italien geschrieben; mit verwüsteter Landschaft, Gewalt und einem Staatsfernsehen, dem keiner glaubt – „Der aufrechte Mann“ (9. März). Für Leser, die Stress zu meiden versuchen und stundenlang eine Suppe köcheln lassen.
Antonio Penacchi: Der Schichtarbeiter aus Latina provoziert, indem er von den Mitläufern erzählt: den Menschen aus dem malariaverseuchten Niemandsland südlich von Rom, denen Mussolini geholfen hat. „Canale Mussolini“ erscheint am 6. Februar bei Hanser.
Mario Puzo: Seit 1999 tot, aber er hatte noch das Drehbuch zum vierten „Paten“ fertig. Die Vorgeschichte der Mafia-Saga, im New York der dreißiger Jahre angesiedelt, wo Vito Corleone das Überleben lernt. Der Amerikaner Ed Falco machte daraus den Roman „Die Corleones“ (Klett-Cotta, 23. Mai).
Christian Frascella: In der Tradition vom „Fänger im Roggen“ schrieb der Turiner Fabriksarbeiter vom goscherten 16-Jährigen, seinem prügelnden Vater und der durchgebrannten Mutter: „Meine Schwester ist eine Mönchsrobbe“ (im März bei der Frankfurter Verlagsanstalt).
Mauro Corona: In Italien wurden 150.000 Exemplare von „Im Tal von Vajont“ (Graf Verlag, 9. März) verkauft. Ins Dorf der Kindheit in den Bergen Friauls wird geschaut. Einsamkeit, Kälte und eine Käserei. Claudio Magris lobte Coronas Sätze, die wie Steine fallen.
Stefano Benni: Der Satiriker aus Bologna setzt sich in die in jedem italienischen Dorf unvermeidliche „Bar Sport“, wo alle Weinkenner und Philosophen sind: „Brot und Unwetter“ (Wagenbach im März).
Carlo Fruttero: Die größte Vorfreude. Fruttero war einst mit Franco Lucentini („1920 – 2002) „die Fabrik“: Abwechselnd schrieben sie die Kapitel zu „Die Sonntagsfrau“, „Der Liebhaber ohne festen Wohnsitz“ ... Schön war das. Fruttero erinnert sich in „Ein Herr mit Zigarette“ (Piper. 12. März) an den toten Freund, an Chiffonunterhosen, an piemontesische Schlösser.
Von Jänner bis August
Daniel Glattauer sagt Ende Jänner „Ewig Dein“ (Deuticke). Es könnte sich um einen Thriller handeln. Kurt Palm bringt, nach dem „Bad Fucking“-Überraschungserfolg, „Die Besucher“ (Residenz). Da sitzen fremde Leute im Haus, sogar auf dem Dachboden. Sie tun zwar nichts, aber irgendwie unangenehm ...
Der Februar ist am stärksten. Péter Nádas hat auf 1600 seiten „Parallelgeschichten“ (Rowohlt) geschrieben: Krieg und Frieden im 20. Jahrhundert. Javier Marías beobachtet „Die sterblich Verliebten“ (S. Fischer). Janne Teller sagt „Komm“ (Hanser), Patrick Modiano sitzt „Im Cafe der verlorenen Jugend“ (Hanser), David Grossmann geht in „Die Umarmung“ (Hanser), T.C. Boyle ist in „Wenn das Schlachten vorbei ist“ (Hanser) kämpferisch naturverbunden.
Und die Österreicher? Büchner-Preisträger Walter Kappacher war in Amerika: „Land der roten Steine“ (Hanser). Peter Handke macht in „Die schönen Tage von Aranjuez“ (Suhrkamp) Theater. Franzobels „Was die Männer so treiben, wenn die Frauen im Badezimmer sind“ (Zsolnay) könnte lustig sein. Friederike Mayröckers neues Prosabuch heißt „ich sitze nur GRAUSAM da“ (Suhrkamp). Thomas Raabs Krimiheld ist im gar nicht idyllischen Skiort unterwegs: „Der Metzger bricht das Eis“ (Piper) ...
Im März kommt der für seinen schlechten Sex prämierte Roman „Ed King“ (Hoffmann und Campe) des Amerikaners David Guterson. Die St. Pöltnerin Cornelia Travnicek gibt bei DVA ihr Romandebüt, „Chucks“. Vom Niederländer Gerbrand Bakker, seit „Oben ist es still“ sehr bekannt, erscheint „Der Umweg“ (Suhrkamp).
Die berühmtesten lakonischen Erzählungen Raymond Carvers werden im April – also 23 Jahre nach dem Tod des Amerikaners – zum ersten Mal ungekürzt aufgelegt („Beginners“, bei S. Fischer).
Im Mai folgt Sten Nadolny mit „Weitlings Sommerrische“ (Piper) – eine Reise in die eigene Vergangenheit; und Gerhard Roth hat 1.) den Fotoband „Im Irrgarten der Bilder“ (Residenz) über die Künstler in Gugging, und 2.) „Portraits“ (S. Fischer), z.B. von van Gogh, Thomas Bernhard, Kreisky.
Vom Juli ist schon bekannt, dass sich Paul Auster in einem besetzten Haus im heruntergekommenen Brooklyner „Sunset Park“ (Rowohlt) herumtreibt.
Was den August betrifft, steht „Mayas Tagebuch“ (Suhrkamp) fest: Isabel Allende über eine vom Leben gezeichnete 19-Jährige, die endlich Schönes sieht.
Ein Blick zu den Sachbüchern: Hypochonder dürfen sich freuen.
DuMont bringt am 22. Februar „König aller Krankheiten“ heraus. Krebs – Die Biografie, verfasst vom New Yorker Onkologen und und Pulitzer-Preisträger Siddharta Mukherjee.
Und hat man sich erfangen, kommen „Viren“ (9. März, Rowohlt): Der Stanford-Virologe Nathan Wolfe schreibt über die Wiederkehr der Seuchen.
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