Brexit-Chaos, Stonehenge und ein schießwütiger Prinz Harry: Jeremy Deller in Wien
„Welcome to the Shitshow!“: Der Spruch, über das Union-Jack-Banner geschrieben, begrüßt Personen am Wiener Franz Josefs Kai 3 schon von der Straße aus.
Es ist ein „zeitloses Statement zur britischen Dysfunktionalität“, sagt Jeremy Deller. Der Künstler – er war Träger des renommierten Turner-Preises und Vertreter Großbritanniens bei der Venedig-Biennale 2013 – schuf das Motiv im Herbst 2019, als die Queen auf Anraten von Boris Johnson kurz vor dem Brexit das Parlament außer Kraft setzte – eine Entscheidung, die als „Coup“ bezeichnet und vom Höchstgericht später aufgehoben wurde.
Heute, zwei Premierminister später, scheint die „Shitshow“ weiter in vollem Gange, das Land ist gespalten wie nie zuvor. Der 1966 geborene Künstler beschwört dagegen die Kraft der Populärkultur, Menschen zusammenzubringen. Deller baute bereits Stonehenge als riesengroße Hüpfburg nach und knüpfte Verbindungen zwischen Blaskapellen, die Englands Arbeiterkultur seit der Industriellen Revolution begleiteten, und der Rave-Szene – ein Projekt, das er 2005 auch nach Wien brachte.
In der nun eröffneten Schau im Kunstraum Franz Josefs Kai 3 (Mi – So, bis 7. 5.) stehen aber Dellers Werke auf Papier im Mittelpunkt: Die meisten sind Plakate, die er seit 30 Jahren in der Londoner U-Bahn, auf Werbetafeln oder mit Verteil-Aktionen in den öffentlichen Raum einschleuste. „Es ist befriedigend, seine Arbeit auf der Straße zu sehen“, sagt Deller. „Ein Museum oder eine Galerie ist aber gut, um Dinge zusammenzubringen und einen Überblick zu bekommen.“
Manchmal bürsten Dellers Plakate Konzert-Ankündigungen mit seltsamen Botschaften gegen den Strich, dann wieder sind sie markante Einzeiler: „Fuck you 2020“ hieß es etwa aus dem Lockdown-Chaos, „Pricks in Porsches“ rotzt auf die Londoner Schickeria hin, das Wortspiel „Why BA?“ schließt die gehypte Künstlergeneration der „Young British Artists“ (kurz YBAs) mit der Frage nach der Notwendigkeit eines abgeschlossenen Kunststudiums (Bachelor of Arts oder BA) kurz. Deller selbst hat übrigens keines.
„Prince Harry Kills Me“
Ein Plakat mit dem Satz „Prince Harry Kills Me“ wirkt besonders aktuell – tatsächlich ist es zehn Jahre alt, wie Deller erklärt. Schon damals prahlte der Prinz damit, Taliban erschossen zu haben, machte flache Witze („Killer Jokes“) – und schoss bei Jagden entgegen seines Umweltschützer-Images geschützte Vögel ab. Deller verarbeitete das in seinem Venedig-Beitrag mit majestätischen Tier-Videos, ließ aber den Spruch weg – er hätte wohl alle Aufmerksamkeit auf sich gezogen, mutmaßt er heute.
Auch wenn manche Botschaften als Online-Memes funktionieren und der „öffentliche Raum“ zunehmend von Menschen durchquert wird, die auf ihr Smartphone starren, hält Deller an der Wirksamkeit von Plakaten fest. „Es gibt noch keinen echten Ersatz dafür, etwas auf der Straße zu sehen“, insistiert er. Generell könne Kultur „Orte schaffen, wo Menschen zusammenkommen – auch solche, die sonst wenig gemeinsam haben. Vielleicht können wir zumindest über eine Band reden, die wir mögen. Das könnte der Beginn eines Gespräch über etwas anderes sein. Diese Hoffnung habe ich.“Michael Huber
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