Braune Schatten über Salzburg

„Es war einmal ein Junge...“: Hitlers Leben, ganz lieb illustriert von Poldi Wojtek
Gedenkjahr 1938: Die NS-Vergangenheit bleibt immer noch gegenwärtig – bis hin zum Festspiellogo

Drei Jahre, nachdem Adolf Hitler in Deutschland an die Macht gekommen war, also 1936, erschien in Stuttgart ein reich illustriertes Bilderbuch, das zu einem Bestseller wurde. In Sütterlinschrift wird propagandistisch die „Wahre Geschichte“ des „Führers“ erzählt: „Es war einmal ein Junge, der lebte in einer kleinen Stadt, die in Österreich lag.“ Worte und Bilder stammen, ist zu lesen, „von zwei Deutschen aus dem Auslande“ – aus Österreich.

Als Verfasser gilt Karl Springenschmid, Mitglied der NSDAP und der SS. Er soll als Leiter des Salzburger Schulwesens hauptverantwortlich für die Bücherverbrennung auf dem Salzburger Residenzplatz am 30. April 1938, also etwa sechs Wochen nach dem „Anschluss“ ans Deutsche Reich, gewesen sein. Und als Illustratorin fungierte Leopoldine Wojtek (1903 bis 1978).

Die Künstlerin Konstanze Sailer beschäftigte sich in ihrem Projekt „Memory Gaps“ zuletzt eingehend mit der Grafikerin: Von 1932 bis 1941 war Wojtek mit Kajetan (Kai) Mühlmann, einem Kunsthistoriker und SS-Offizier, verheiratet.

Mühlmann hatte maßgebliche Kontakte in die NSDAP, u. a. zu Hermann Göring, er war am 12. Februar 1938 zu Besuch bei Adolf Hitler auf dessen Berghof am Obersalzberg, als dieser dem österreichischen Kanzler Kurt Schuschnigg das „Berchtesgadener Abkommen“ aufzwang. Von NS-Reichsstatthalter Arthur Seyß-Inquart zum Staatssekretär für Kultur ernannt, war Mühlmann maßgeblich am NS-Kunstraub in Europa beteiligt.

Durch ihn erhielt Wojtek zahlreiche Aufträge, wie auf der Website www.memorygaps.eu zu lesen ist; sie entwarf z.B. einen Gobelin mit NS-Hakenkreuzmotiv samt Hitler-Zitat (aus dessen Linzer Rede vom 12. März 1938) für das Ärztehaus in „der Patenstadt des Führers“.

Ihr Vater, Josef Wojtek, war in Salzburg für konfiszierte Repräsentationsgebäude zuständig, er fungierte z.B. im Frühjahr 1938 als kommissarischer Leiter des Schlosses Leopoldskron, das Max Reinhardt, dem Gründer der Salzburger Festspiele, entzogen worden war. 1943 erhielt Poldi Wojtek von ihrem Vater das „arisierte“ Atelierhaus der Malerin Helene Taussig in Anif geschenkt. Taussig war aufgrund ihrer jüdischen Herkunft ausgewiesen und enteignet worden. Sie wurde im April 1942 deportiert und ermordet. Die „Arisierung“ der Villa erfolgte per „Kaufvertrag“ vom 1. Oktober 1941. Auch Kajetan Mühlmann zahlte einen Teilbetrag auf das Namenskonto „Entjudungserlös Helene Taussig“ ein.

Mühlmann dürfte auch als Hehler unterwegs gewesen sein: Der Bildhauer Josef Thorak ließ sich von ihm aus Frankreich gotische Türen und Skulpturen für das von ihm „arisierte“ Schloss Prielau – die Familie Hofmannsthal war enteignet worden – beschaffen.

Thorak, in Wien geboren, galt – nach Arno Breker – als populärster Bildhauer im Dritten Reich. Nach der Machtübergabe an Hitler ließ er sich von seiner jüdischen Frau Hilda, geb. Lubowski, scheiden. Der Führer war von den Skulpturen Thoraks, darunter eine Siegesgöttin für das Reichsparteitagsgelände in Nürnberg, begeistert: Er persönlich nahm ihn in die NSDAP auf und ließ ihm ein riesiges Atelier nach den Plänen von Albert Speer bauen.

Thorak überstand die Entnazifizierung unbehelligt: 1950 wurde er prominent in Salzburg, wo er seine jungen Jahre verbracht hatte, präsentiert. Noch immer befinden sich im öffentlichen Raum zwei große Skulpturen, der „Paracelsus“ und der „Kopernikus“. Und im Stadtteil Aigen ist eine Straße nach Thorak benannt. Just diese Straße ist Konstanze Sailer ein Dorn im Auge: Sie tritt seit 2016 dafür ein, sie nach Helene Taussig zu benennen.

Mit in die Debatte hineingezogen wurden nun auch die Salzburger Festspiele. Denn das Logo des Festivals stammt von Poldi Wojtek. Laut Festspielpräsidentin Helga Rabl-Stadler habe es 1928 einen Wettbewerb gegeben, und Reinhardt habe sich eben für deren Entwurf ausgesprochen. Auch wenn sich die Grafikerin „an die Nazis rangeschmissen“ habe, so Rabl-Stadler, durfte das Logo in der NS-Zeit nicht verwendet werden. Die Präsidentin sieht daher keinen Grund, sich vom Logo zu distanzieren: „Es hat mit den Nazis nichts zu tun.“

Wer mehr über die NS-Zeit und die Folgen erfahren will, sollte sich bis 2. September im Salzburg Museum die profunde Sonderschau „Anschluss, Krieg & Trümmer – Salzburg und sein Museum im Nationalsozialismus“ anschauen. Im Katalog erklärt Anselm Wagner in seinem Beitrag „Unter dem Pflaster brauner Sumpf“, dass die überwiegende Mehrheit der Salzburger Kulturinstitutionen bis in die 1980er-Jahre hinein von ehemaligen Nationalsozialisten geleitet wurden. So erklärt sich auch die Thorak-Ausstellung im Zwergerlgarten...

Braune Schatten über Salzburg

Poldi Wojtek, die das Festspiel-Logo entworfen hatte, konnte auch anders ...

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