"Bora": Im Sommer soll es unbedingt nach Sternen riechen

24. Juni, 19 Uhr im Café Schopenhauer (1180 Wien, Staudgasse 1): Ruth Cerha stellt „Bora“ vor
Ein Sommer an der kroatischen Küste. Der Sturm macht einiges klarer. So schön ist das.

Diese Musik ist wieder da, wie vor fünf Jahren in "Kopf aus den Wolken", dem ersten Roman von Ruth Cerha.

Diesmal hört man sie "im Leo", wie man beim Fangerln sagt. Leo, der Zufluchtsort, an dem man nicht gefangen werden darf.

Er ist eine winzige Insel an der kroatischen Küste. Der Name bleibt besser geheim.

Der Jugo macht den Rhythmus, so heißt der warme Wind, im Wechselspiel mit der kalten Bora – die im März mit 190 km/h blies.

Trommeln

Zuerst ist man hitzig; mag sein, dass es auch mit einer neuen Bekanntschaft zusammen hängt.

Dann kühlt man ab, die Bora macht den Menschen verletzlich, offen, er sieht seine Umgebung klarer und geht vorsichtiger mit anderen Menschen um – liebevoll.

Das Schilf wird gepeitscht, Regentropfen, groß wie Brombeeren, trommeln; und hat Ruth Cerha – Tochter des Komponisten Friedrich – bei diesem sommerlichen Vergnügen Lust darauf … dann riecht der Sommer nach Sternen, jawohl, und man fühlt sich saugut.

Dann ist auch die Amerikanerin Siri Hustvedt nah, die in Ruth Cerhas literarischer Seelenlandschaft einen wichtigen Platz hat.

Wie 2011 Hustvedts "Der Sommer ohne Männer" ist "Bora" leicht – und hat Hirn.

Die Wiener Schriftstellerin Mara – 40 ist sie etwa – macht Urlaub. Sie weiß nicht, worüber sie schreiben soll. Sie trinkt Bier.

Der amerikanische Fotograf Andrej kommt ebenfalls mit der Fähre. Er kann nicht mehr fotografieren, weil allein bei Facebook täglich 300 Millionen Fotos hochgeladen werden. Widerlich.

Man ist gar nicht nach einer Affäre / Beziehung aus, aber …

Und man redet miteinander: Ob sich Wörter tiefer eingraben als Bilder. Ob es besser ist, jemanden zu heiraten, den man NICHT liebt.

Der Sturm reißt mit, der Sturm reißt auseinander. Der Sturm verändert. Andrej findet wieder Sinn in seiner Arbeit; und Mara hat das Thema für ihren nächsten Roman. Nämlich:

"Bora": Im Sommer soll es unbedingt nach Sternen riechen
buch

Andrejs Eltern gehörten in den 1950ern, 1960ern zu den 80 Prozent Inselbewohner, die wegen Tito geflüchtet waren. Tito verbot z. B. kirchliche Hochzeiten und einen Pfarrer beim Begräbnis.

Alle flüchteten nach Hoboken, gegenüber von Manhattan.

Wo übrigens auch Frank Sinatra zur Welt kam.

Er hatte ebenfalls Musik.

***

Man kann ja nicht immer nur lesen, man muss auch durchlüften. Sind die Inseln in der Kvarner Bucht empfehlenswert?

Ruth Cerha : " Krk und Rab sind im Juli und August sehr überlaufen, auch auf Cres ist ziemlich viel los. In dieser Zeit geht man besser auf die abgelegeneren Inseln. Außerhalb der Schulferien jedoch sind alle Inseln ein herrliches Leo. Ich war einmal Ende Oktober auf Krk, da ist kein Mensch, und es war angenehm warm …"

Den Geruch der Sterne kann man auch im Herbst erforschen.

KURIER-Wertung:

Bei Dostojewski liest man vom "blutigen Losreißen" von der Kindheit, mit der so viel verwachsen ist: Auch "Tränen des Hasses" gehören später verarbeitet bzw. vergessen, um nicht so zu werden wie Vater/Mutter.

"Bora": Im Sommer soll es unbedingt nach Sternen riechen
buch

Falls man es verhindern muss – wie Luis, dessen Vater Zahnarzt war, vor allem Alkoholiker … ein Vater wie ein Dreijähriger. Egozentrisch und kein Halt für ein wirkliches Kind. Und die Mutter? Sie hatte bald einen Schlaganfall.

Luis muss 40 werden, um aus der Geschichte auszubrechen. Wie ihm ein gefälschtes Ölbild hilft, fiel Dostojewski nicht ein. Dass der Schweizer Linus Reichlin etwas Humor in den Roman "In einem anderen Leben" (Galiani Verlag, 384 Seiten, 20,60 Euro) mischt, wäre wohl zu viel verlangt gewesen.

KURIER-Wertung:

Das heißt ja noch nicht, dass man sich das dann im TV unbedingt wird anschauen müssen. Aber "Tante Poldi und die sizilianischen Löwen" (Lübbe, 367 Seiten, 15,50 Euro) ist wie fürs Fernsehen geschrieben – was nicht verwundert:

"Bora": Im Sommer soll es unbedingt nach Sternen riechen
buch

Vom Münchner Mario Giordano stammen bisher sechs "Tatort"-Drehbücher. Er kann aber auch lustig sein. Seine bayerische Poldi wird ihren Weg auf den Bildschirm machen.

60 ist sie, sie lacht viel, sie trinkt viel, ist ein Vulkan (aber ein melancholischer) … und will mit Meerblick sterben. Also kauft sie nach dem Tod ihres Mannes auf Sizilien ein Haus, macht dort Schweinsbraten, spielt Detektivin und treibt den feschen Commissario zur Verzweiflung. Sympathischer als der Bulle von Tölz.

KURIER-Wertung:

Das ist eine Geistergeschichte. Sie entsteht aus dem Nichts einer Kleinstadt im US-Bundesstaat Iowa, wo Schriftsteller Tom Drury lebt. Wann bekommt Drury (Jahrgang 1956) endlich bei europäischen Lesern gebührend Platz im Bücherregal?

"Bora": Im Sommer soll es unbedingt nach Sternen riechen
buch

Warum der Roman auf Deutsch "Das stille Land" (übersetzt von Gerhard Falkner und Nora Matocza, Klett-Cotta, 216 Seiten, 20,50 Euro) heißt, bleibt ebenso rätselhaft. Hängt es damit zusammen, dass alles so leise ist?

Man fühlt sich von Traummännlein umgeben. Nur ein junger Barkeeper, der seine Eltern verloren hat, ist zu hören. Und eine Frau, die von der Leiter stürzte und nun "ganz anders" ist. Und Trost gibt es: Wer gut ist und stirbt, der lebt viel besser.

KURIER-Wertung:

Kommentare