Sie waren gerade gemütlich beim Nacktbaden, die Soldaten aus Florenz, als die Truppen aus dem benachbarten Pisa anrückten. Da hieß es schnell anziehen, die Waffen ergreifen, die Eindringlinge in die Flucht schlagen: Das gelang in der „Schlacht von Cascina“, die wohl nicht über das Niveau einer inneritalienischen Simmering-Kapfenberg-Brutalität hinausgegangen wäre, hätte der große Michelangelo die Szene nicht in einem Bild nachempfunden.
Das Universalgenie nutzte die Episode, um Spannungszustände männlicher Körper in größter Raffinesse festzuhalten. Der öffentlich ausgestellte Monumentalentwurf („Karton“) sollte Künstler von nah und fern beeindrucken – dass das geplante Wandgemälde nie zur Ausführung kam und der Entwurf verloren ging, war dem Legendenstatus nicht abträglich.
Inspiration und Vorbild
Der Kaskade des Einflusses, die hier ihren Ausgang nahm, widmet sich die Schau „Michelangelo und die Folgen“. Sie fungiert auch als Best-of-Schau der grafischen Sammlungen der Albertina und bringt zusätzlich Schätze von Raffael, Rubens und Dürer bis zu Klimt und Schiele an die Wände. Aber nicht nur: Bronzeplastiken aus den Liechtenstein-Sammlungen und Gipsabgüsse aus den Beständen der Akademie der bildenden Künste verdeutlichen in der Schau, wie Michelangelos Körperideal in den verschiedensten Medien kopiert und exportiert wurde.
Die eigenhändigen Zeichnungen – jene der Albertina, von denen vier einst im Besitz von Peter Paul Rubens standen, werden von Blättern aus dem Louvre und dem Metropolitan-Museum ergänzt – sind zweifellos die Hauptattraktion: Sie holen direkt an den Prozess heran, in dem Michelangelo um eine Synthese aus antikem Vorbild, Naturstudium und abstraktem Ideal rang. „Die Stärke seiner Akte ist keine ausschließlich physische, sondern immer auch eine seelisch-moralische“, formuliert es der Michelangelo-Experte Achim Gnann im Katalog. Es sind wahrlich Bilder, in denen sich das Menschsein zeigt.
Säcke voller Nüsse
So faszinierend es ist, den Echos davon bei Rubens und Tintoretto in der Schau nachzuspüren – irgendwann stellt sich die Einsicht ein, dass sich das sklavisch nachgeahmte Ideal der Monumentalkörper in der akademischen Kunst auch totlief. Bei den Akten von Anton Raphael Mengs oder den skurrilen Herkules-Bildern von Hendrick Goltzius wird nichts mehr gesucht – gefunden wird allenfalls die fetischisierte Darstellung von Muskelpartien, die laut Leonardo einem „Sack voller Nüsse“ gleicht.
Es ist irgendwie erfrischend, dass die Ausstellung hier abbiegt und (vor pastellfarbenen Wänden) ganz neue, andere Fragen stellt: Wie sah eigentlich das Frauenbild in der hier erzählten Kunstgeschichte aus? Welche Künstler (Frauen kommen in der Auswahl keine vor) wagten statt der Idealisierung die Hässlichkeit, und warum?
Das Problem ist, dass jeder dieser Ansätze für sich genommen eine interessante Themenschau abgäbe – in der Stakkato-artigen Aneinanderreihung am Ende des Parcours werden die Fragen aber nur angerissen und letztlich unbefriedigend behandelt. Und von Michelangelo zu Schiele ist es wirklich ein sehr weiter Weg.
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