Egon Friedell war nur gespielt

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Die Zerrissenheiten eines Wiener Originals, das sich als Gesamtkunstwerk inszeniert hat.

Schade ist das: Hört man von Egon Friedell, dann immer nur, dass er sich im Morgenmantel aus dem 3. Stock des Hauses 1180 Wien, Gentzgasse 7 gestürzt hat, als ihn zwei SA-Männer abholen wollten. Am 16. März 1938, 22 Uhr.
Und dann erfährt man vielleicht noch, dass er genial gewesen sei, ein „genialer Dilettant“, wie ihn Max Reinhardt, auf dessen Bühnen er stand, nannte. Denn Schauspieler war Friedell auch noch, aber vor allem Feuilletonist, Satiriker, pointierter Philosoph, Kabarettist, Kritiker, Autor von „Kulturgeschichten“ ...

Beim Aufzählen fährt kein Leben in ihn, da wird nicht einmal der Slibowitz, das Pilsner, der Wein ausgedünstet, dem er ordentlich zusprach – so wie dem Essen, nachts löffelte er Powidl aus dem Eiskasten.

Freunde nannten ihn wegen seiner Masse „Mastodon“, und angeblich hat ein hungriger Bub während des Ersten Weltkriegs, in der Straßenbahn auf Friedell blickend, zur Mama gesagt: „Einmal möchte ich auch wieder Grammelknödel essen.“
Egon Friedell hat ja selbst dafür gesorgt, dass sich Biografen schwer tun. Kurz vor seinem Tod verbrannte er Briefe, Dokumente, Manuskripte.
Immerhin blieb eine Beschreibung seiner Wohnung erhalten, und die hilft dem deutschen Literaturwissenschaftler Bernhard Viel ein bisschen, um Zerrissenheit zu skizzieren.

Fichtenduft

Jene des Bürgerschrecks der 1920er-Jahre, der so bürgerlich daheim auf dem braungestreiften Diwan lag, einen peinlich gespitzten, nummerierten Bleistift in der Hand, das Schreibbrett ans Knie gelehnt, die lange Studentenpfeife im Mund – und Fräulein Marie (später Fräulein Hermine, mit der er – vielleicht – ein Kind hatte) versprüht Fichtennadelduft.
Und da war die Zerrissenheit des Menschenfeindes, der die Nähe von Menschen brauchte. Aber gut, so ging’s ja den meisten Künstlern, die damals im „Central“ bei Altenberg und Polgar saßen.
Und Sohn eines jüdischen Tuchfabrikanten war Friedell, der sich aber den Katholiken verbunden fühlte und ... zu den Evangelischen übertrat.
Und Lina Loos, Adolfs Frau, die hat er geliebt: sein Lebensmensch, seine Madonna. Doch war er unfähig, nett zu ihr zu sein – weil seine Mutter wegen eines anderen Mannes die Familie verlassen hatte, als er drei Jahre alt war?

Egon Friedell trug Masken. Selbst wenn er Monokel und Elfenbeinstock ablegte. Leben hieß Inszenieren. Er spielte nicht nur mit Hans Moser und Heinz Rühmann, er spielte immer. Als Egon Friedmann geboren, gab er die Figur des Universalgelehrten Friedell.
Und großartig war er.

Georg Stefan Troller (Jahrgang 1921) erzählt in seinen neuen Wien-Erinnerungen „Das fidele Grab an der Donau“ (Ueberreuter Verlag) die Anekdote, als sich in einem Zeitungsfeuilleton ein kleiner Fehler eingeschlichen hatte: Friedell schrieb über den Norweger Hamsun.
Aber gab den Namen irrtümlich als „Haresu“ wieder.
Klugscheißer. Man spottete. Und Friedell – er hätte sich bestens mit Helmut Qualtinger verstanden – lieferte eine fingierte Lebensbeschreibung des „großen japanischen Dramatikers Yenosuke Haresu“ nach.

Nachspiel

Egon Friedell war nur gespielt
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Biograf Bernhard Viel nimmt sich ordentlich Platz, um das nervös vibrierende Wien zu zeigen. Lustig, dass er Münchner ist. Weil: Nach einem Auftritt in Deutschland wurde Friedell als „versoffener Münchner Dilettant“ bezeichnet. Friedell antwortete: Das Wort Dilettant störe ihn nicht: „Dilettantismus und ehrliches Kunstbemühen schließen einander nicht aus“.
Auch leugne er keineswegs, dass er dem Alkohol zugeneigt sei („und wenn man mir daraus einen Strick drehen will, muss ich es hinnehmen“). „Aber das Wort ,Münchner‘, das wird noch ein gerichtliches Nachspiel haben.“ (Ein kleines Stück ist man ihm näher gekommen.)

KURIER-Wertung: **** von *****

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