Biennale Venedig: Bilder, die schimmeln und schreien

Sensible Materie: Roberto Cuoghi lässt im italienischen Pavillon im Arsenale Christus-Figuren gießen und führt dann deren Zersetzung vor
In den Pavillons überzeugen Werke, die starke Bilder produzieren und sie zugleich hinterfragen.

In der finsteren Halle am Ende des Arsenale steht eine Fabrik. Besucherinnen und Besucher können hier mitverfolgen, wie überlebensgroße Figuren in der Pose des Gekreuzigten in Formen gegossen werden: "Imitation Christi" heißt die Arbeit von Roberto Cuoghi, einem der drei Künstler, die heuer den Pavillon Italiens bespielen.

Cuoghis Figuren werden in Folge in transparente Zelte platziert, wo sie langsam verrotten – ein Schild weist das Publikum auf Schimmelsporen hin. Es ist ein grausliches, aber faszinierendes Szenario, das einen mitten in die großen Fragen hineinkatapultiert: Geht es hier um Tod und Auferstehung, um den Übergang vom Körper zum Geist – oder schlicht um Bilder, die sich den Biennale-Besuchern möglichst tief ins Gehirn einbrennen sollen?

Prägnant, aber wie?

Bilder sind das ureigene Metier der Kunst, nur werden sie im Wettstreit der Länder-Pavillons kaum noch auf klassische Art – etwa als Fotografie oder Gemälde – erzeugt. Viele Beiträge spielen mit dem Bildervorrat in unseren Köpfen und versuchen, ihm durch körperliche Empfindungen (Ekel!) oder andere Sinnesimpulse neue Dringlichkeit zu geben.

Neben Cuoghis Schimmel-Kruzifixen gelingt dies vor allem Anne Imhof, deren Arbeit "Faust" im deutschen Pavillon niemanden kalt lässt. Auch die Installation in dem dreischiffigen Bau, die 2011 zu Christof Schlingensiefs "Kirche der Angst" umgebaut worden war, spielt mit sakralen Bildern: Wie Heiligenfiguren stehen da lebende Menschen auf Sockeln, bewegen sich mit leerem Blick oder schütteln die Köpfe wie Metal-Fans. Ein erhöhter gläserner Boden teilt den ansonsten kahlen Raum in ein "darüber" und ein "darunter", die Menschen begaffen einander, man hört Orgelklänge, Gesang, E-Gitarren: Auch wenn sich das Geschehen kaum exakt deuten lässt, ist das Gefühl der Bedrückung und Ausweglosigkeit, das da im sprachlosen Raum zwischen Bild, Ton und menschlicher Präsenz entsteht, überwältigend.

Nicht harmlos

Mit der Harmlosigkeit, die in der Überblicksschau "Viva Arte Viva" vorherrscht, wollen sich viele Künstler offenbar nicht zufrieden geben – dabei zeigt sich, dass es durchaus Sinn ergibt, wenn Kunst Distanz zum Weltgeschehen hält und über ihre Möglichkeiten und über das Wesen der Bilder reflektiert.

Im Pavillon der USA stesllt etwa der Afroamerikaner Mark Bradford Bilder und Skulpturen aus. Doch der Bau wirkt außen bewusst verwahrlost und sieht innen aus, als wäre er von einem Ölteppich überschwemmt worden: Die Raumgestaltung mit schwarzen Würsten verleiht Bradfords materialintensiven Werken Nachdruck und kann als subtile Kritik an Trumps Verschmutzer-Politik gelesen werden.

Auch der griechische Pavillon verpflanzt Politik auf eine Meta-Ebene: In einem labyrinthischen Parcours erzählt Künstler George Drivas von einem Experiment, in dem ein Forscher entscheiden muss, ob er auf der Suche nach Hepatitis-resistenten Zellen einen neuen Zelltypus kultivieren soll. Dieser zeigt wundersame Eigenschaften, kann aber nur existieren, wenn er sich mit bisher gezüchteten Zellen verbindet, er bedroht also das ganze Experiment: Parallelen zum Umgang mit der Migrationswelle sind unübersehbar, auch weil der Künstler Aischylos‘ Tragödie "Die Schutzflehenden" als Referenz einbaut.

Kunst mit Alec Baldwin

Einen starken Kommentar zur Flüchtlingskrise – und der Rolle der Bilder darin – formuliert auch Candice Breitz im Südafrika-Pavillon im Arsenale: Breitz ließ die Hollywood-Stars Alec Baldwin und Julianne Moore Erzählungen von Flüchtlingen nachsprechen, die in Seenot geraten waren oder in Europa Anschluss suchten.

Dabei montierte Breitz die – in akzentfreiem Englisch gesprochenen – Aussagen der Schauspieler neben Statements über den Starkult und die Rolle der Medien bei der Vermittlung von Wirklichkeit: Star-Talk und Schicksalsbeichte sind vertauscht, die eigenen Realitätsfilter werden sichtbar.

Biennale Venedig: Bilder, die schimmeln und schreien
A visitor looks at the installation called "Folly" by Phyllida Barlow at the British Pavilion during the 57th Biennale in Venice, Italy May 10, 2017. REUTERS/Stefano Rellandini FOR EDITORIAL USE ONLY. NO RESALES. NO ARCHIVES
So sehr das Weltgeschehen in die Beiträge einsickert, so wenig scheint es sie bei dieser Biennale zu diktieren. Manche nutzen die Gelegenheit schlicht, um verdiente Künstlerinnen und Künstler aufs Podest zu stellen : Rumänien zeigt eine Mini-Retrospektive der heute 91-jährigen Geta Brătescu, Großbritannien würdigt die lange unterschätzte Bildhauerin Phyllida Barlow, die mit monumentalen, doch leichtfüßig wirkenden Materialskulpturen beeindruckt.

Auch Österreichs Beitrag darf in der Reihe dieser Würdigungen stehen. Und Kulturminister Drozda erklärte am Donnerstag, das künftige Budget des Pavillons von 400.000 auf 500.000 Euro erhöhen zu wollen.

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