Bibiana Beglau: „Vielleicht gelingt es mir, mich hochzumeucheln“
Martin Kušej, der neue Burgtheaterdirektor, hat unter anderem Bibiana Beglau vom „Resi“ in München mit nach Wien gebracht. In „Wer hat Angst vor Virgina Woolf“ steigert sie sich als Martha in einen unglaublich zerstörerischen Ehekrieg hinein; in „Faust“ spielt sie nicht das Gretchen, sondern, viel passender, den Mephisto. Und als Thusnelda behauptet sie sich in der „Hermannsschlacht“ gegen eine Horde Männer.In Österreich bekannt ist Beglau, mehrfache „Tatort“-Mörderin, schon seit Langem. 2005 und 2011 wirkte sie bei den Salzburger Festspielen mit (in „König Ottokars Glück und Ende“ und Peter Handkes „Immer noch Sturm“). Demnächst ist sie auch wieder im Kino zu sehen – an der Seite ihres Burgtheater-Kollegen Peter Simonischek im berührenden Film „Crescendo“.
KURIER: Sie sind dabei, sich „einzubürgern“. Mühsam?
Bibiana Beglau: Ich muss mich melden, damit ich hier arbeiten darf. Einmal geht man aufs Magistrat, einmal zur Einbürgerungsbehörde. Was man da erlebt, ist schon … seltsam. Wenn man nicht Deutsch spricht und kein EU-Bürger ist, hat man dort, glaube ich, richtig Probleme. Ich war bereits um halb sechs Uhr da, um eine Nummer zu bekommen. Das Amt macht um 8 Uhr morgens auf, und dann musste ich immer noch drei Stunden warten.
Aber es reut Sie nicht, nach Wien gegangen zu sein?
Wenn man solche Situationen miterlebt: dann doch. Aber ich habe mir nebenbei Lisa Eckhart angehört. Und das hilft über die Wartezeit hinweg. Ich glaube, die Situation ist in Deutschland nicht viel anders. Wien ist eine tolle Stadt, man kann es nicht anders sagen, die Subkultur tobt, die Ausstellungen sind ein Hit. Mehr habe ich leider noch nicht mitbekommen.
Sie wurden in Braunschweig geboren. Man verbindet mit der Stadt nur eine Wurst.
Die Braunschweiger haben, was kaum jemand weiß, den Adolf Hitler zum deutschen Staatsbürger gemacht. Er hatte erfolgreich seine Entlassung aus dem österreichischen Staatenverband beantragt, um sich einer Geld- und Haftstrafe zu entziehen, und war somit staatenlos. Andere Städte haben gegen die Einbürgerung des kriminellen Adolf Hitler Widerstand geleistet, Braunschweig jedoch nicht. Darüber redet man aber dort nicht, und hier eigentlich auch nicht.
Sie gingen in die Waldorfschule und waren Punk.
Ich habe mich vielleicht ein bisschen abgrenzen wollen. Wenn ein paar Menschen im gleichen Raum den gleichen Geist teilen, rennen sie auch mehr oder weniger in den gleichen Klamotten rum. Das war schon fast eine Uniform. Punk fand ich lustiger – orangefarbene Haare.
Eine Revoluzzerin?
Nee. Wir reden von den 1980er-Jahren. Da war der britische Punk schon vorbei. Es ging nur darum, sich anders anzuziehen. Es war eher als eine ästhetische Idee gedacht.
Und dann wollten Sie Bildhauerin werden?
Mich interessierte Statik, der Raum im Raum, das Positiv im Negativ und umgekehrt.
Aber Sie waren an der Kunstakademie zu spät mit der Abgabe Ihrer Mappe.
Ich hätte abgeben sollen. Außerdem empfanden meine Eltern mich als flügge und wollten mich aus dem Haus haben. Ich sollte in Ägypten biologisch-dynamische Landwirtschaft erlernen. Und da dachte ich mir: Lernste Texte auswendig – und bewirbst dich an der Schauspielschule.
Das war in Hamburg. Mit „Frühlingserwachen“.
Und mit Oscar Wilde, dem Schlussmonolog der Salome. Was ich sonst noch aufgesagt habe, weiß ich gar nicht mehr.
Sie arbeiten sich langsam in den Süden vor: Sie gingen an die Berliner Schaubühne und 2011 nach München.
Ich hab’ nicht im Theater angefangen, sondern Mitte der 1990er-Jahre beim Fernsehen. Und ich hab’ die meiste Zeit meines Arbeitslebens frei gearbeitet, auch eigene Performances gemacht. Vielleicht war diese Zeit die Lehrreichste, es gab soviel zu entdecken und zu erfinden, es wurde in Europa getourt und das war ein Geschenk.
Sie werden in den Medien als „Naturgewalt“ und „Extremistin“ bezeichnet.
Ich glaube, Kunst braucht Kraft und Einsatz.
Ein „Darstellungstier“: Das wollen Sie auch sein?Ich hab’ mir nie überlegt, was ich sein will. Ich will kräftig sagen, was ich zu sagen habe oder was die Dichterworte hergeben.
Sie scheinen daher für bestimmte Rollen prädestiniert – und für andere nicht.
Mir geht es um die Texte, um die Worte, die einer Rolle zugeschrieben werden. Verschiedene Sätze könnte ich nicht sagen, weil man sie mir nicht glauben würde. Einem Menschen wie mir glaubt man nicht, wenn er wie Gretchen Sätze sagt (mit unschuldiger Stimme): „Oh, ich weiß gar nicht wie mir geschieht; ich habe doch von allem nichts gewusst.“ Den Satz von Elfriede Jelinek hingegen schon (mit fester Stimme): „Dass sich Menschen selber als Bomben werfen, das war von uns nicht vorgesehen.“
Das Gretchen kommt daher nicht infrage. Und die Julia?Schon. Wenn man das Stück nicht als Liebestragödie lesen würde, sondern als Geschichte einer jungen Frau, die dem Patriarchat entfliehen will, wäre eine Julia für mich interessant. Das größere Stück über Liebe, oder vielleicht das größte, das ich bis jetzt gelesen habe, ist „Wer hat Angst vor Virginia Woolf“. Denn es gibt darin das Negative und das Positive der Liebe, beides liegt offen. Liebe und Hass liegen in ihrer Unbedingtheit dicht beieinander. Es gibt keine Gleichgültigkeit.
Martin Kušej hat nicht nur „Wer hat Angst vor Virgina Woolf“ mit Ihnen inszeniert, sondern auch „Faust“ und Kleists „Hermannsschlacht“. Hat der Herr Direktor ein Abonnement auf Sie?
Das hat sich einfach ergeben. „Virginia Woolf“ und „Faust“ hat Martin Kušej aus München mitgebracht. „Virginia Woolf“ kann man schnell aufbauen, es ist daher im Notfall ein gutes Einspringer-Stück und wir sind ein dichtes Vierer-Ensemble und machen den Abend jedes Mal aufs Neue so unglaublich gerne.
Kušej inszeniert für die Salzburger Festspiele auf der Pernerinsel Schillers „Maria Stuart“. Ich nehme an, Sie spielen die Stuart und Birgit Minichmayr die Elisabeth? Besetzungen stehen zum jetzigen Zeitpunkt noch gar nicht fest.
Sie waren bereits zweimal in Salzburg zu sehen. Wie geht es Ihnen damit, dass die Festspiele nun von Gazprom Geld nehmen?
Davor war seit 1991 Nestlé Sponsor. Was dieses Unternehmen in Schwellenländern macht, ist nicht zu tolerieren. Aber keiner hat sich zu jener Zeit Gedanken darüber gemacht. Es macht mir Bauchschmerzen: Dass Konzerne wie Nestlé und Gazprom die Kunst infiltrieren. Die Frage ist: Hat das Publikum, das sich diese teuren Festspielkarten kaufen kann, überhaupt ein Bewusstsein für dieses Thema? Wir Schauspieler machen uns Sorgen. Also, es ist kein Wohlfühlthema. Auch deshalb, weil alle, die in der Kunst arbeiten, meist doch eher linksorientiert sind.
Aber man spielt trotzdem mit. Wie Hendrik Höfgen in „Mephisto“.
Ein sehr drastischer Vergleich, aber vielleicht haben Sie recht. Für mich ist es schwierig, ganz ehrlich. Ich habe versucht, einen ersten Schritt zu tun. Aber alleine richtet man nichts aus. Da zeigen einem alle nur einen Vogel. Wenn, geht es nur gemeinsam. Wenn viele große Künstler nicht kommen würden, dann wäre vielleicht ein Umdenken möglich… Wir reden immer von „Demokratie“. Aber wir sollten vielleicht das Wort „Wirtschaftsdemokratie“ verwenden. Weil sich eben Konzerne als Aushängeschild Künstler holen. Und die Künstler haben vielleicht zu Hause Kinder oder Eltern, die sie versorgen müssen. Die wenigsten von uns leben als Solitäre. Wie wählerisch kann man also sein? Das ist auch eine existenzielle Frage.
Auch Sie plagt mitunter die „Verhungerangst“, wie Sie es einmal ausgedrückt haben.
Ab 50 werden die weiblichen Rollen knapper.
Ihre Burgtheater-Kollegin Caroline Peters, ebenfalls 1971 geboren, ist die neue Buhlschaft im „Jedermann“. Auch wenn Sie vielleicht nicht dem Klischeebild entsprechen: Wäre die Rolle was für Sie?
Selbstverständlich. Denn diese Figur spricht nur zwölf Sätze – und trotzdem macht sie einen riesigen Bahei. Der „Jedermann“ ist ja eine Art Krippenspiel, aber auf höchstem Niveau. Alle paar Jahre das neu zu erfinden: Das macht, glaube ich, viel Spaß. Und das dann am Domplatz zu spielen: auch.
Auch „Tatort“-Kommissarin wären Sie gerne?
Warum nicht? Vielleicht gelingt es mir ja, mich hochzumeucheln.
Sie waren schon öfters Täterin.
Ja. „Tatort“ ist noch immer die Königsklasse des Fernsehens. Und ich bin keine Fernsehverächterin. Das ist ein tolles Medium.
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